Blick auf Makroscope

NOIES 04 – gespräch MIT Makroscpoe

Nach Jahren des Lebens und Arbeitens in Zwischennutzungen entschied sich 2018 eine Gruppe von Künstler:innen, ein Haus inmitten der Innenstadt von Mülheim an der Ruhr zu kaufen: das Makroscope. Nach zweieinhalb Jahren Renovierung erstrahlt das Haus nun in neuem Glanz. Wir haben den einzigen festangestellten Mitarbeiter Felix Möser getroffen und ihn gefragt, was das Makroscope ausmacht.

Das Gespräch führten Hanna Fink und Verena Hahn

NOIES:
Das Makroscope ist ein „soziokulturelles Kunsthaus“. Was passiert im Makro?

Felix Möser:
Das Makro ist vieles, unter anderem ein Museum, nämlich das Museum für Fotokopie. Das ist eine Sammlung von Geräten, zum Teil aber auch von Copy Art, die schon seit 40 Jahren wächst und gedeiht und hier in Mülheim zum ersten Mal einen festen Standort hat. Es gibt im Haus außerdem Ateliers, einen Bandproberaum, ein Fotolabor, eine Künstler:innenwohnung, und auch einen Teil, der eher wie ein soziokulturelles Zentrum funktioniert. Konzerte, Workshops, Filmvorführungen, Raum für Veranstaltungsideen Anderer, die etwas im Haus machen wollen – es gibt einen Schwerpunkt auf Kunst, aber wir sind eben auch ein Kulturhaus.

N:
Wie ist das Makroscope organisiert? Gibt es künstlerische Leiter oder Hierarchien?

FM:
Das Makro ist als Verein organisiert, und diese Struktur nutzen wir nicht nur auf dem Papier. Es gibt einen gewählten Vorstand und dieser versucht, die Mitglieder wo nur möglich einzubeziehen. Darüber hinaus haben wir aber auch noch basisdemokratische Gremien, relativ frisch ist zum Beispiel ein Aktiventreffen. Das fungiert auch als erster Anlaufpunkt, wenn Leute ihre Ideen im Haus umsetzen wollen. Wir verstehen den Begriff Soziokultur so, dass unsere Strukturen und offene Räume nutzbar sind, solange es zum Konzept des Hauses passt; wir versuchen, gesellschaftliche Themen in unsere Praxis mit einzubeziehen. Ich bin der einzige hauptamtliche Mitarbeiter im Haus, im Vorstand sind nur Ehrenamtliche. Wir hoffen, dass wir noch weiter wachsen und eines Tages eine Strukturförderung bekommen, um weitere Stellen zu schaffen und zu festigen.

N:
Ihr wart lange geschlossen wegen Renovierungsarbeiten. Was ist nun anders als vorher?

FM:
Wir haben das Haus erst 2018 gekauft. Das Haus ist sehr alt und hat viele bauliche Probleme. Seit dem Krieg war es Einzelhandelsfläche (vorher Hotel, Bibliothek und NSDAP-Parteizentrale). Nach Ausbruch der Pandemie haben wir eine Nutzungsänderung beantragt, um mehr Bestandssicherheit zu haben und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, hier langfristig offiziell agieren zu können. Wir hatten daher zweieinhalb Jahre wegen Umbauten und einer umfassenden Brandschutzsanierung geschlossen. Jetzt ist das Haus offiziell ein Museum, es gibt bessere Raumaufteilungen, einen offiziell abgenommenen Brandschutz und beispielsweise tauglichere Ausstellungssituationen (professionelles Beleuchtungssystem, maßgeschneiderte Ausstellungsdisplays, Archivsystem und so weiter).

N:
Von wem bekommt ihr Unterstützung? Wie trägt sich das Haus überhaupt?

FM:
Es gibt verschiedene Bausteine der Finanzierung. Da ist zum Beispiel der Förderverein, der unter anderem die Reparaturen und den Hauskauf unterstützt hat. Auch im regulären Verein haben wir verhältnismäßig viele Mitglieder (circa 170) – das ist der schönste und wichtigste Baustein, der auch gerne noch wachsen darf. Es zeigt, dass es Bedarf gibt und enge Verbindungen zwischen Haus und Unterstützenden. Wir bekommen auch einige Mieteinkünfte durch Wohnungen im Haus. Natürlich erhalten wir auch Projektförderung und versuchen, in diesem Bereich so aktiv wie möglich zu sein. Wir haben aber eben keine feste kommunale oder landesweite Förderung für Betriebskosten oder Erhalt des Hauses. Wenn wir zum Beispiel 100.000 EUR hätten, könnten wir das Makro durch ein neues Dach langfristig auch als ein trockenes Haus erhalten, und wenn wir dann vielleicht noch 100.000 EUR pro Jahr fest als strukturelle Förderung erhalten würden, dann könnten wir davon auch Stellen schaffen, die das Haus nachhaltig weiterentwickeln würden, könnten sorgenfreier arbeiten. Da ist also mit Kinkerlitzchen (im Vergleich zu Wirtschaftsförderungen mit Millionen-Beträgen) extrem viel zu machen.

N:
Welche Rolle spielt Gemeinschaft im Makroscope?

FM:
Das Makro ist ursprünglich – das war 2013 – aus einer kleinen Gruppe von Leuten entstanden, damals noch als Offspace, wie das viele von uns aus der Szene kennen. Das war von Anfang an eine Sache von Freund:innen, und ist dann nach und nach gewachsen. Als wir uns 2018 zum Hauskauf entschlossen haben, wollten und mussten wir das Projekt natürlich vergrößern und auf viel mehr Schultern verteilen. Wir versuchen seither fortlaufend, die Hierarchien weiter abzubauen, offener zu werden. Das ist ein Prozess. Denn erstmal beginnt man mit der Struktur, wie sie die Institutionen bzw. die Gerichte vorgeben, in unserem Fall der eingetragene Verein. Davon ausgehend versucht man dann, das Ganze durch mehr Gremien und mehr Mitbestimmung für Nutzer:innen und Mitglieder noch stärker zu demokratisieren. Es gibt also einen Prozess, das Haus als basisdemokratische Gemeinschaft aufzustellen. “Haus im Eigentum seiner Nutzer*innen” haben wir das mal genannt.

Auf persönlicher Ebene ist es auch ein Ort für genau jene Kulturschaffenden, die vorher stets in kurzlebigen Strukturen arbeiten mussten, und das hier jetzt zusammen, selbstorganisiert und unabhängig, neu aufstellen wollen. Die Künstler:innen wohnen auch teilweise im Haus, begreifen es als Möglichkeitsraum und erforschen, wie man solidarisch miteinander umgehen kann. Manchmal kommt es uns vor wie eine Burg – gegen die Zumutungen der Außenwelt.

N:
Auf der einen Seite gibt es diese solidarische Gruppe von Leuten, auf die ihr euch verlassen könnt. Wie schafft ihr es denn trotzdem, offen zu bleiben? Wie vernetzt ihr euch auch außerhalb dieser für euch wichtigen Szene?

FM:
Das ist wirklich etwas, woran man aktiv arbeiten muss. Denn es geht ja sehr schnell, dass man zumindest nach außen hin elitär oder unzugänglich wirken kann. Ganz lässt sich das wohl nicht vermeiden, aber wir versuchen, eine offene Ausstrahlung zu haben und kooperieren natürlich auch mit anderen Organisationen oder Initiativen oder Vereinen – teilweise mit etablierten wie zum Beispiel mit dem Ringlokschuppen, aber auch mit jungen Gruppen und der Freien Szene. Aber ja, es ist eine Herausforderung, diese Offenheit, die man sich auf die Fahne schreibt, im Alltag dann auch wirklich umzusetzen. Wie gut uns das gelingt, werden die nächsten Jahre zeigen. Wir haben ja erst seit kurzem wieder geöffnet, aber bereits viele Ideen sammeln können, die auch ein breites Spektrum von Kultur abbilden. Deswegen wird es hier in Zukunft wirklich sehr verschiedene Veranstaltungen geben, einige sehr niedrigschwellige (Jam-Session, Kneipenabende), andere nischiger und anspruchsvoller. Diese Bandbreite bewirkt hoffentlich eine Zugänglichkeit.

N:
Werdet ihr von kommunaler oder regionaler Seite unterstützt?

FM:
Wir haben ein gutes Verhältnis zu Stadtverwaltung und Kulturamt. Die Stadt ist allerdings sehr arm, sodass es da keine größeren Förderungen finanzieller Natur gibt – aber eben kurze Wege in der Abstimmung oder bei konkreten Problemen. Auf Landesebene gibt es natürlich mehr Fördermöglichkeiten, dafür aber weniger Kontakte. Vor allem profitieren wir davon, dass wir Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft soziokultureller Zentren sind. Das ist ein sehr produktiver Kreis der Zentren in NRW, der von den Mitgliederhäusern aktiv gelebt wird.

N:
Kulturelle Zentren haben es in Nachbarschaften nicht immer leicht. Ihr habt auch schon Einschüchterungsversuche durch die AfD erfahren. Wie erlebt ihr den Austausch mit Nachbarschaft und Stadtgesellschaft?

FM:
Wie so viele Kunst- und Kulturhäuser im ganzen Bundesgebiet, sind auch wir einer Kampagne der AfD ausgesetzt. Diese Partei arbeitet mit hetzerischen Pressemitteilungen, versucht zu diffamieren und delegitimieren, zu dämonisieren. Sie wollen in der Kultur eine Hegemonie errichten, Deutungshoheit über Diskurse erlangen, das Sagbare zu verschieben. Das liegt daran, dass AfD & Co. – teilweise hoffentlich zurecht – in Kunst und Kultur ihren Gegner sehen. Ihre Hetze fällt in Mülheim in der Stadtgesellschaft, vor allem in der Politik, überhaupt nicht auf fruchtbaren Boden. Es hat eher zu einer kleinen Welle der Solidarität mit dem Haus geführt, eben weil die Vorwürfe auch so offensichtlich jeder Grundlage entbehren. Sie sagen zum Beispiel, wir seien ein “Hort linksextremer Ideologie”, weil wir uns gegen rechts positionieren. Andere Kulturhäuser haben es da schwerer, zum Beispiel das Autonome Zentrum in Mülheim, das seit Jahrzehnten klassische Kultur- und Jugendarbeit leistet. Aber trotz aller Solidarität bleibt jede Einschüchterung immer unangenehm. Und es bleibt auch immer etwas Sorge hängen.

Aber Druck und Einschüchterungen kommen nicht nur von der AfD und treffen natürlich nicht nur Kultureinrichtungen. In unserer Nachbarschaft, in der Innenstadt und im Viertel Eppinghofen, gibt es viele Gewerbetreibende mit migrantischem Hintergrund, die auf andere, schlimmere Art betroffen sind. Gerade die Essener Polizei, die auch für Mülheim zuständig ist, fährt seit Jahren eine rassistische Kampagne gegen sogenannte Clan-Kriminalität. Da gibt es seit Jahren medienwirksame Großrazzien hier in der Nachbarschaft, vom Gemüseladen bis zur Shisha Bar. Der Druck von Rechts ist also vielen im Viertel ein Begriff. Wir nehmen es zum Anlass, uns stärker zu positionieren. Zum Beispiel machen wir im November eine kleine Vortragsreihe zum Thema „Kulturkampf von Rechts“.

N:
Ihr versucht, mit eurem Angebot verschiedene Zielgruppen einzuladen, auch Menschen, die bisher nicht mit Experimentalkunst oder experimenteller Musik in Berührung gekommen sind. Auf welchen Wegen gelingt euch das?

FM:
Experimentelle Kunst und Musik, und Nischen generell, sind ein wichtiger Bestandteil des Hauses, einfach aufgrund der Geschichte und des Interesses der Personen, die die Gemeinschaft prägen. Aber wir erleben schon seit Jahren, dass Leute, die zum Beispiel zum Kneipenabend kamen, interessiert und offen auf unser nischigeres Programm reagieren und sich davon begeistern lassen. Wir versuchen auch, es den Leuten möglichst leicht zu machen: Wir legen Wert auf spielerische Ansätze und laden in erster Linie Menschen ohne akademischen Background ein. Das ist keine Entscheidung gegen Leute mit diesem Hintergrund, sondern einfach eher unser Schwerpunkt: Viel DIY-Szene, Leute, die auch mal live scheitern und selbst Forscher:innen sind. Die Atmosphäre ist oft sehr aufmerksam, aber auf eine gewisse Art und Weise unernst. Das Publikum ist sehr gemischt.

N:
Das Makro ist auch bekannt für das „Shiny Toys Festival“. Um was geht es bei „zeitbasierter Experimentalkultur“?

FM:
Mit diesem sperrigen Begriff kann man eigentlich alles fassen, was sich (in der Zeit) bewegt. Zum Beispiel Lichtkunst und Musik. Shiny Toys war also ein Festival für abseitige audiovisuelle Experimente. Das Festival fand hauptsächlich in größeren Räumen statt, vor allem im Theater Ringlokschuppen. Nach zwölf oder dreizehn Jahren hat 2021 das Shiny Toys Festival zum letzten Mal stattgefunden. Wir haben einfach Lust, nochmal neu anzufangen, weil wir jetzt ja dieses Haus haben. In Zukunft probieren wir Konzepte aus, die viel mehr hier vor Ort stattfinden und mit diesen anderen Gegebenheiten umgehen – mit Fokus auf kleine Räume, auf Ausprobieren, auf näher-dran-Sein. Dieses Jahr waren das die Muhlheimer Zóngtage, ein kleines Festival mit internationalen Musikern und Klangkünstlern aus dem DIY-Underground.

N:
Wie würdest du „abseitige“ Musik beschreiben?

FM:
„Abseitig“ ist ein relativ charmantes Wort, wenn man Genrebegriffe eigentlich vermeiden und nur andeuten will, in welche 100 Richtungen es geht – und in welche anderen 100 nicht. Ein großer Teil unseres Programms ist abseits des Mainstreams, in unserem Falle aber auch gerne abseits des üblichen Undergrounds. Wenn es eben wirklich um experimentelle Klangkunst geht, dann sind auch Fans des Freejazz oder der Neuen Musik manchmal etwas überfordert oder im Idealfall überrascht. Wir verantworten aber durchaus auch Sachen in Richtung Pop, die aus unserer Sicht schon fast wieder Mainstream sind, die man aber in jedem Fall dennoch abseitig nennen kann.

N:
Felix, du hast gemeinsam mit Dennis Dycks das Label Ana Ott. Befruchten sich Haus und Label gegenseitig?

FM:
Label und Haus sind über die Jahre untrennbar zusammengewachsen. Ursprünglich haben Dennis und ich eine Konzertreihe im Makro etabliert. Und dann sind wir irgendwann selbst Teil des Hauses geworden, das Label damit auch. Wir haben hier unser Büro und unsere Werkstatt. Eigentlich sind auch alle anderen Gewerke des Hauses auf ähnliche Art miteinander verwachsen. Selbst das Museum für Fotokopie haben wir auf eine interdisziplinäre Art sehr eng mit allen anderen Bereichen des Hauses verknüpft. Mittlerweile gibt es dort eine eigene Klangkunstreihe, bei der Musiker*innen und Künstler*innen gebeten werden, mit den Kopiergeräten als Instrumenten zu musizieren. Jeden Monat kommt eine neue Folge heraus. Umgekehrt sind mehrere Artworks fürs Label im Museum entstanden.

N:
Viele Künstler:innen und Musiker:innen zieht es in die größeren Städte. Was hält euch und dich, ganz persönlich, im Ruhrgebiet, jetzt sogar mit Hauskauf?

FM:
No offense, aber man muss es sich auch leisten können, aus Spaß in eine hippe Stadt zu ziehen. Das ist für Leute, die schon seit Jahren einen künstlerischen Lebensstil pflegen, gar nicht so einfach möglich. Und in einer Stadt wie Köln hätten wir uns natürlich auch niemals ein Haus in allerbester Innenstadtlage leisten können. Und es hat viele weitere Vorteile, im provinziellen Ruhrgebiet zu sein. Vieles von dem, was man ausprobiert, gibt es noch nicht. Und wir sind froh und stolz, dass unsere Gäste auch aus den umliegenden Städten zu unseren Veranstaltungen kommen. Im Ruhrgebiet gibt es eben auch nicht so viele Orte und Institutionen, die solche Sachen überhaupt machen.

Es ist aber schon so, dass wir immer wieder tolle Leute verlieren, das ist natürlich eine ständige Herausforderung.

N:
Viel aus eurem Programm kommt aus der DIY-Szene. Häufig wird dort umsonst gearbeitet. Was bräuchte die DIY-Szene, um ihre Arbeit unter guten Bedingungen zu machen?

FM:
Das ist eine sehr wichtige Frage. Wenn gesellschaftlich realistisch betrachtet würde, was künstlerische Arbeit zum Leben aller beiträgt, dann müsste es natürlich eine bedingungslose Grundfinanzierung dafür geben, dass man das tut – für alle: für Institutionen, für Orte, aber auch für die eigene Arbeit. Das wird es in Deutschland wohl nie geben. Deswegen tappen oft auch DIY-Initiativen in die Selbstausbeutungsfalle. Sie wollen unbedingt, dass Sachen auf die Beine gestellt werden, und sind dann dafür bereit, sich selbst auszubeuten. Wir haben vor ein paar Jahren die Zeitung „Hungerspiele“ gemacht, “Berichte aus dem Ausbeutungsbetrieb Underground“. Man muss darüber reden, und wo immer es geht, solche Sachen nicht als selbstverständlich begreifen und auch in Förderanträgen mitdenken. Man muss versuchen, alle Beteiligten fair zu entlohnen, zumindest ansatzweise, zumindest symbolisch. Nicht nur die Musiker:innen, sondern auch die Leute an der Theke, am Mischpult, Einlass usw. Das klappt nur selten, es würde also nur sehr wenig Programm überbleiben, wenn wir alle aufhören würden, uns auszubeuten – das ist die Zwickmühle.

Ein kleines Beispiel, wo es klappt, ist das Residenzprogramm „Zu Gast bei Urbane Künste Ruhr“, in dem Künstler für ein Jahr im Makroscope leben und arbeiten. Im Moment sind das Haha Wang und Deniz Aktaş. Der Sinn der Residency ist es, ein Jahr ohne Sorgen arbeiten zu können – oder auch nicht zu arbeiten und einfach nur Eindrücke zu sammeln. Das ist für künstlerische Arbeit ja mindestens genauso wichtig wie ein fertiges Werk, und kommt aufgrund der Förderlogiken, in denen wir uns alle meist bewegen, zu kurz: dass nämlich immer Projekte und Ergebnisse produziert werden sollen. Das Programm ist eine echte Bereicherung, weil diese Leute natürlich komplett neue Inspiration ins Haus bringen. Wir, die im Haus zusammenleben und arbeiten, können ihnen dafür einiges an Mitwirkung und wechselseitigen Impulsen bieten.

N:
Was steht die nächsten Monate an?

FM:
Durch die lange Schließphase haben wir richtig viele Konzerte nachzuholen. Wir machen von September bis Dezember eigentlich das Konzertprogramm eines ganzen Jahres. Ich bin sehr gespannt, wie das angenommen wird – es ist ja auch viel verlangt vom Publikum. Das Programm ist aus meiner Sicht aber extrem stark. Wir haben unsere Konzertreihe inklusive der Muhlheimer Zòntage 2022, außerdem die Reihe „Filmgesellschaft“ fünf Veranstaltungen. Filmschaffende aus der Region werden eingeladen, einen Abend mit Lang- oder Kurzfilmen zu kuratieren und darüber zu diskutieren. Im Dezember lassen wir das Jahr dann ausklingen bei unserem traditionellen Jahresabschlussweihnachtskonzert mit der Band International Music.

Felix Möser ist der einzige festangestellte Mitarbeiter des soziokulturellen Kunsthaus Makrosope in Mülheim an der Ruhr. Mit Dennis Dycks leitet er das Label Ana Ott, und kümmert sich im Makropscope unter anderem um Programmplanung, Buchhaltung und Vermietung.

Gespräch
Auf diesem Foto sieht man Komponist Manos Tsangaris und Violinistin Karen Hellqvist, die ihre Köpfe auf einen Tisch gelegt haben. Zwischen ihren Köpfen befindet sich eine Vielzahl von Waldteufeln, einem Instrument, das ähnlich wie eine Trommel aussieht.

NOIES 04 – verliebt IN Waldteufel

Für Musiker:innen und Künstler:innen sind ihre Instrumente und ihre Werkzeuge nicht nur Mittel zum Zweck. Wer ganz indiskret mithört, wird Zeuge von Liebesbekundungen, Beziehungsdramen und Alltagsstreitigkeiten zwischen Komponistin und Theremin, Klangkünstler und Laptop – und das tun wir sehr gerne in der Rubrik „verliebt IN“ unserer Zeitung NOIES.

In der vierten Ausgabe geht es zurück an den Ursprung des Grunzens, Knackens und Röhrens. Der Klang des volkstümlichen Waldteufel klingt, je nach Spielart, nach Zikaden, aufziehendem Gewitter oder zumindest knurrendem Magen. Komponist Manos Tsangaris räumt dem kleinen Instrument aus Trommel, Holzstab und Draht den Platz ein, den es verdient.

Manos schickte uns außerdem dieses Video, in welchem der Waldteufel im Sopranino zu uns spricht:

Manos Tsangaris ist Komponist, Trommler und Installationskünstler und zählt zu den bedeutendsten Vertreter:innen des neuen Musiktheaters. Seit den 1970er Jahren erforscht er die Bedingungen der Aufführung als wesentlichen Gegenstand von Komposition.

Artikel

NOIES – Gîn Bali hört zu: Farce

Farce fotografiert von Apollonia T. Bitzan

Dieser Artikel ist in der Juli / August Ausgabe der Noies erschienen. In der Rubrik „Hör zu“ laden wir Protagonist*innen der freien Musikszene in NRW dazu ein, einen Musiktipp mit uns zu teilen.

Gîn Bali hört zu: Farce

Vor ein paar Monaten habe ich auf Instagram herumgescrollt und bin auf den Account farce1000 gestoßen. Schockverliebt, follow, follow back, Herz, Feuer und dann kam das neueste Album Not to Regress raus. What the…?

Farce (bürgerlich Veronika König) kauft mit 5 Jahren ihre erste Gitarre (Sperrholz/Ikea), gründet ein paar Jahre später eine Punkband, zieht nach Wien, tauscht Band gegen Computer, wird zu Farce ‒ ihr Name eine Referenz an die Absurdität des Auf-der-Bühne-Stehens, wenn man als hochgewachsene Königin über die Maßen schüchtern ist.

Schon die erste Veröffentlichung (2017) der alle Genregrenzen sprengenden Musikerin erregt Aufmerksamkeit, besonders im queeren Underground. Auch bei ihrem zweiten Studioalbum ist die DIY-Ethik aus Königs Punkzeit ist noch immer da, inzwischen hat sie sich autodidaktisch das Produzieren erschlossen.

Was Farce und mich besonders vereint: unsere Hassliebe zu Tutorials über das eigene Produzieren am Computer. Diese „What´s up guys? My name is Harold and today I am gonna show you how to…“-Videostarts sind meist eine Red Flag. Harold zeigt einfach nicht, denn eigentlich ist er doch ein Gatekeeper und hört sich nur selbst gern beim Reden zu 🙂

Aber dennoch entstand so ein neuer Handstreich in Erfindungsreichtum, getrieben von manischem Optimismus, zusätzlich versehen mit einer Prise Kathedralenglitzer und Melancholie, denn Farce lebt merklich nach wie vor in Wien.

Gîn Bali ist Musikerin, Musikpädagogin, Veranstalterin und DJ. Geboren und aufgewachsen in Bonn, ist sie über verschiedene Städte und Länder in Wuppertal gelandet. Dort betreibt sie neben vielen anderen Projekten seit März 2019 die Veranstaltung »YAYA« in der Mauke. → yaya-netzwerk.de

Die englische Version dieses Artikels findet ihr hier.

Review

NOIES – Gîn Bali listens to: Farce

Farce photographed by Apollonia T. Bitzan

This article was published in the July / August issue of Noies. In the column „Hör zu“ („Listen to“) we invite protagonists of the independent music scene in NRW to share a music tip with us.

Gîn Bali listens to: Farce

A few months ago I was scrolling around on Instagram and came across the account farce1000. Shock infatuated, follow, follow back, heart, fire and then the latest album Not to Regress came out. What the…?

Farce (civil name Veronika König) buys her first guitar (plywood/Ikea) at age 5, starts a punk band a few years later, moves to Vienna, trades band for computer, becomes Farce – her name a reference to the absurdity of being on stage when you’re a tall queen beyond shy.

Already the first release (2017) of the musician breaking all genre boundaries attracts attention, especially in the queer underground. On her second studio album, the DIY ethic from King’s punk days is still there, and she has since bec

ome self-taught in producing.

What unites Farce and I in particular: our love-hate relationship with tutorials on how to produce on your own computer. These „What’s up guys? My name is Harold and today I am gonna show you how to…“ video launches are usually a red flag. Harold just doesn’t show, because actually he’s a gatekeeper after all and only likes to listen to himself talk 🙂

But nevertheless, a new stroke of inventiveness was created, driven by manic optimism, additionally provided with a pinch of cathedral glitter and melancholy, because Farce noticeably still lives in Vienna.

Gîn Bali is a musician, music educator, promoter and DJ. Born and raised in Bonn, she landed in Wuppertal via various cities and countries. There, among many other projects, she runs the event „YAYA“ in the Mauke since March 2019. → yaya-network.com

Find the German version of this text here.

 

Review

NOIES – GEDANKEN ÜBER

Viola Yip | Foto: Gerhard Kühne

GEDANKEN ÜBER den Körper als Technologie
von Viola Yip

Als Künstlerin beschäftige ich mich damit eigene Instrumente zu bauen und entwickele Klangperformances an der Schnittstelle von Komposition, Performance, Improvisation und Klangkunst, wobei ich die Beziehungen zwischen Medien, Materialien und dem Raum durch performative musikalische Körper erforsche. Musikalische Körper spielen in meiner künstlerischen Arbeit seit jeher eine wichtige Rolle. Jenseits traditioneller Vorstellungen von Technik und deren Exekution fungieren sie als Arbeitshypothese für verschiedene künstlerische Konzepte:

Allgemein Artikel

NOIES – THOUGHTS ON

Viola Yip | Photo: Gerhard Kühne

THOUGHTS ON body as technology
by Viola Yip

As an artist, I have been interested in creating new self-built instruments and developing sound performances at the intersection of composition, performance, improvisation and sound art, exploring various relationships between media, materiality and space through performative musical bodies.
Musical bodies always play a significant role in my artistic work. Beyond the traditional notion of techniques and executions, they serve as an intersectional working-in-progress for various artistic concepts:

Allgemein Artikel

CERA 4_ Sonification of a spheric sculpture

Íngrid Pons i Miras zwischen Bühnenbild und Klangkunst
Nathalie Brum war beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf | 16.–20.2.2022 R008

Wenn meine Freundin Elisa Metz sagt, in diesem Jahr gebe es beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf besonders viele figurative Darstellungen, dann muss ich ihr Recht geben. Die Arbeiten, die wir uns in den Räumen der Ateliers anschauen, sind auf eine Weise melancholisch, die ich von Werken der zeitgenössischen Kunst in den letzten Jahren so nicht mehr gewohnt war. Portraits von menschlichen Gesichtern auf Leinwänden nicht größer als ein DIN-A4 Blatt haben es uns sehr angetan, weil sie eindringlich aber nicht aufdringlich wirken.
Doch eine weitere Tatsache fällt auf: die Räume der Ateliers werden als Teil der Ausstellung von Kunstwerken mitbedacht. Raum und Kunst verschmelzen in einigen Werken zu einer Einheit. Die Urheber:innen jener Werke, die sich in einem höchstens 30m² großen Raum in direkter Nachbarschaft zu sechs oder sieben weiteren Ausstellungsstücken in ihrer vollen Wirkung behaupten müssen, tun mir da fast ein bisschen leid. Kleine Fernseher mit Sound und Tonaufnahmen aus Lautsprechern machen es ihnen dabei nicht leichter. Vielleicht hat es mir deshalb eine klangkünstlerische Arbeit ganz besonders angetan, die einen ganzen Raum mit insgesamt 26 Lautsprechern bis ins letzte Detail ausgefüllt hat.

 

 

 

Die Klanginstallation von Íngrid Pons i Miras, Will-Jan Pielage, Sebastian Fecke Diaz, Joseph Baader und Paul John lässt die Besucher:innen in einen komplett anderen Kosmos tauchen. Während sich im Gang der Akademie die Menschenmenge durch die sonnengefluteten, weißen Flure schiebt und über allem ein leichter Hall von murmelnden, kommentierenden und sich austauschenden Grüppchen schwebt, ist die Black Box von CERA4 ein Gegenentwurf.
Durch einen schwarzen Vorhang betritt man den Eingang zur Installation und gelangt über eine Stahltreppe auf eine quadratische Plattform aus Gitterrosten. Ringsum Brüstungen aus Stahl – sowie aus unterschiedlichen Winkeln insgesamt 26 Lautsprecher. Unter der Plattform dezent sichtbar Stacks von Servern und Tontechnik; um die Plattform herum ein schwarzes scheinbares Nichts. Synthetische Töne unterschiedlicher Frequenz tröpfeln in den Raum hinein und verstärken angesichts des Trubels im Gang die Unwirklichkeit dieser Inszenierung. Es ist eine eher stille und ruhige Passage mit punktuellen Tönen, die ich in diesem Moment erleben darf. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen, überlagern sich und trennen sich dann wieder. Mal im Stereo, mal Mono, dann langsam aber sicher ein dröhnender Bass. Nichts von dieser Soundkomposition scheint vorhersehbar zu sein. Gerne wäre ich noch länger auf der Plattform stehen geblieben, doch da kommen schon die nächsten Besucher*innen und das Verweilen von vielen Menschen auf engem Raum gebietet sich (immer noch) nicht.

Ein Blick hinein zeigt Seiten über Seiten von Codes, die wahrscheinlich die Programmierung dieser Sonifikation darstellen. Doch was genau wird hier sonifiziert? Das Buch beschreibt das Konzept als Sonifikation einer Netzstruktur in Kugelform, die an die geodätischen Kuppeln von Buckminster Fuller erinnert. Doch sind im Unterschied dazu die Dreiecke, aus denen sich die Kugel bei CERA4 bildet, unterschiedlich groß und haben verschieden große Winkel.

„Cera4 ist die Sonifikation einer sphärischen Skulptur, eine Arbeit, konzentriert auf das Zuhören in Zeiten der Hegemonie des Auges. Die Sonifikation basiert auf Cera2, einer unregelmäßigen sphärischen Triangulation aus Metallstreben von zwei Metern Durchmesser. Die Oberfläche wird aus 60 Knoten gebildet, die 112 Polygone formen. Die Knotenpunkte wurden von Mathematikern der Technischen Universität Dortmund vermessen und in ein dreidimensionales Koordinatensystem überführt.“ (Zitat aus der Buchdokumentation über CERA4)

Wenn man sich die binaurale Dokumentation des Projekts anhört, dann gibt es noch ganz andere klangliche Effekte der Komposition je nach Ansatz der Sonifikation. Mal sind es glockenhafte Töne, hell und klar, mal klingen sie gedämpft und blechern, dicht und chaotisch, mal erinnern die Klänge an eine verzerrte Gitarre. Für die Spatialisierung, d. h. die Verteilung der Klänge im Raum anhand der 26 Lautspecher, wurde das Ambisonics-Verfahren angewendet. Ein dreidimensionales Klangfeld konnte somit erfahrbar gemacht werden – wenn man die Arbeit vor Ort mit dem Klangsystem erlebt hat.

Nicht nur als Klangkünstlerin, sondern auch als Architektin bin ich weder Fan von White Cubes noch von Black Boxes, weil sie den real existierenden physischen Raum gerne negieren und damit eine Neutralität von Räumen suggerieren. Dennoch empfinde ich das konsequente Beschallungs- und Inszenierungskonzept in der Raumwirkung im Vergleich zu den restlichen Arbeiten der Akademie als erfrischend anders. Die Inszenierung dieser Abschlussarbeit der Künstlerin Íngrid Pons i Miras kommt nicht von ungefähr: 1975 in Barcelona geboren, schloss sie ein Studium als Querflötistin und Musikpädagogin am Conservatori Superior de Música del Liceu ab, bevor sie sich ab 2012 der Verbindung von Klang und Raum widmete und in der Bühnenbildklasse der Kunstakademie studierte. Einige Aufführungshäuser in NRW durften bereits von ihrer Expertise profitieren. Aktuell ist sie für das Bühnenbild im Schauspielhaus Bochum tätig. Hoffentlich wird der Klang auch in Zukunft die Nähe zur bildenden Kunst suchen – oder auch vice versa.

von Nathalie Brum

Alle Fotos von Marina.Kiga

Artikel Review

Das Multiphonics Festival im Portrait

Multiphon
Das Multiphonics Festival im Portrait
von Maike Graf

Multiphonics, die Spaltklänge oder auch Mehrfachklänge, sind in vielerlei Hinsicht ein schönes Bild für das gleichnamige Klarinettenfestival. Obertöne über stehendem Klang, Akkordhaftes auf dem eigentlich ein-tönigen Blasinstrument, so das Wesen der Multiphonics-Spielweise aus der Zeitgenössischen Musik. Überträgt man das auf das Multiphonics Festival, stecken die Multiphonics in seinen mehr-fach, also vielseitig klingenden Klängen, wenn es sich nicht auf das klassische oder jazzige Genre und deren Standard-Spielweisen beschränkt. Da stecken Multiphonics in der Vielfalt der klanglichen Eigenheiten der Klarinettenspieler*innen, die sich als Obertöne über die stehende Basis der Klarinette als Festivalkern multiplizieren.

Obwohl das Klarinettenfestival nun schon seit 2013 unter diesem Namen sein Instrument in multi-pler Weise präsentiert, wird es in der diesjährigen Ausgabe seinem Namen nun wirklich gerecht, denn der Festivalschwerpunkt 2021 spaltet sich um die Neue, zeitgenössische Musik.

 „Das muss Spaß machen, sonst macht das alles kleinen Sinn.

„Ein Festival mit der Musik, die wir gerne hören würden“; das ist das Ideal für Jens Eggensperger und Annette Maye, die quasi zu zweit den jährlichen Klarinettenspielplatz aufbauen – dieses Jahr im Alten Pfandhaus und in der Kunststation St. Peter. „Ich möchte musikalische Freude daran haben“, bestärkt die Klarinettistin und „so was wie die künstlerische Leitung des Festivals“, wie Annette Maye sich selber betitelt, den Satz ihres Kollegen Jens Eggensperger.

Wenn man dieses Credo genauer betrachtet, kann man erkennen, dass es hier nicht darum geht ein neues Publikum mit seinen potenziellen wie abstrakten Wünschen zu ergattern oder sich als abgezockter, hochstrategischer Player in den Kampf um ebendieses Publikum aber auch um Spielorte und Fördergelder zu begeben. „Allein das Wort Kampf ist schon scheiße“, meint Jens Eggensperger. „Nur leider ist das in Köln, mit seiner fruchtbaren Umgebung für Kreativleistungen aber einer von ausgezeichneten Musiker*innen überquellenden Freien Szene, eigentlich notwendig. Mittlerweile sind wir nicht mehr die Kulturfighter, sondern entspannter. Wir setzen jetzt auf sehr hohe Qualität.“

Diese hohe Qualität findet sich, für Annette Maye, in den Klarinettist*innen, bei denen die Klarinette nicht die kleine Schwester des Saxofons ist. Als Annette Maye an der Musikhochschule für Musik und Tanz Köln Jazz-Klarinette studierte, war sie für ihren Lehrer Claudio Puntin die Erste mit diesem Hauptfach überhaupt. Üblicher war ein Jazz-Saxofon- oder Flöten-Studium mit aufgestockter Klarinettenspezialisierung. Beim Multiphonics Festival spielt die Klarinette definitiv nicht die Doubling Rolle, die ihr im Big Band Kontext oft übergestülpt wird. Sie stellt sich vorne an die Bühnenkante, oft durch Ensembles oder Duopartner*innen gestützt, und ruft nostalgisch in den Zuschauerraum: „In den 30er- und 40er-Jahren des Jazz war ich der Star!“

Heute ist es Annette Maye bei ihrem Festival ganz besonders wichtig, „dass sich die Musiker*innen wirklich umfangreich und ernsthaft mit der Klarinette auseinandergesetzt haben, um ihren individuellen Klang, abseits vom klassischen Standard mitzubringen“. Daher sollen die Musiker*innen des „Multiphonics“ Festivals zu „100 %, manchmal auch zu 90 % echte Klarinettist*innen sein, so wie Louis Sclavis, Gabriele Mirabassi oder Michel Portal. Aber die sind gar nicht so einfach zu finden.“ „Das ist so der Fluch und Segen von dieser sehr spezifischen inhaltlichen Ausrichtung“, fügt Jens Eggensperger hinzu: „Wir haben ein klares Konzept, aber es ist natürlich total schwierig, neue Leute zu finden.“

Multiphonics ist eine Bühne für die Klarinette, für das Familientreffen mit allen Großtanten, auch der Alt- und Kontrabassklarinette, aber nicht pur und rein solistisch, sondern „als eine Hauptzutat, in extrem variierenden Rezepten“, wenn Jens Eggensperger ein Festival kocht.

„In der Organisation sind wir eigentlich ein Zwei-Personen-Festival. Diesen Wahnsinn macht ja keiner mit.

Für die Klarinetten haben Jens Eggensperger und Annette Maye schon einiges aufgebracht. Im Regen standen sie vor der Frankfurter Oper, nach einem Klaus Doldinger Konzert, und verteilten Flyer, um die Multiphonics 2014 in Frankfurt zu bewerben. Im Eröffnungsjahr saß das Festival noch in Fulda, einer Stadt, in der, nach Jens Eggensperger, „die Band Silbermond in der Esperanto Halle als Hochkultur vom Kulturamt gefördert wurde.“ 2015 wurden die Klarinettenkoffer, dann ins „musikalisch übersättigte Köln“ transportiert, so Eggensperger. In diesem Jahr tourt es nach den Konzerten im Alten Pfandhaus und der Kunststation St. Peters noch nach Düsseldorf, Dortmund, Meschede, Wuppertal, Müllheim und sogar bis nach Freiburg.

Der Anstoß für ein Klarinettenfestival kam aus Annette Mayes ältester Band, dem „Ensemble FisFüz“, namentlich von Murat Coşkun, der mit seinem Rahmentrommel-Festival „Tamburi Mundi“ bei Freiburg die internationale Rahmen-Community zusammentrommeln konnte. Mit dem Wunsch „die Klarinettenszene in Deutschland, vielleicht auch europa- oder weltweit mal ein bisschen zu vernetzen, unabhängig von einem speziellen Genre“, springt Annette Maye als Musikerin zusammen mit Jens Eggensperger in den Sturm des Festivalmanagements. Darin wirbeln organisatorische Stresswellen, aber auch nächtliche Abspülaktionen nach einem Konzert im Alten Pfandhaus oder polizeilich vermisst gemeldete Künstler*innen die im Zug eingeschlafen und bis nach Holland gefahren waren; aber vor allem eine ganze Menge Hingabe ihrem Multiphonics Festival und dem Instrument, dem es sich verschreibt.

„Wir hatten eine CD vom Ensemble hand werk im Auto, ich weiß überhaupt nicht, wie die da gelandet ist!

Die Spielweise der Multiphonics ist schon lange auf dem Festival präsent. Daher weht die zeitgenössische Brise schon eine Weile durch seine Klarinetten. Dieses Jahr setzt das Multiphonics Festival einen Schwerpunkt mit dem „Trio Catch“, dem „Duo Stump-Linshalm“ und „Essence of North“ und verbindet die Konzerte in der Kunst-Station St. Peter mit audiovisuellen Live-Performances der Videokünstlerin Alba G. Corral. Die Entscheidung an drei Festivaltage Neue Musik zu spielen, war für Jens Eggensperger und Annette Maye der Moment „jetzt einfach mal den Mut zusammenzunehmen und den Schritt wirklich zu gehen; zu den echten Neue Musik Konzerten, für ein richtiges Neue Musik Publikum“, um zu zeigen: „Wir sind auch Neue Musik.“

Einerseits wollen sie sich damit selbst einen neuen Künstler*innenpool für die nächsten Festivaljahre eröffnen, andererseits das große Ideal „die stilistische und spieltechnische Bandbreite der Klarinette abzubilden“ noch mehr ausfüllen als ohnehin schon. Dazu kommt noch das Bedürfnis einen Raum für Neue Musik zu schaffen, „der weder der Stadtgarten noch das Alte Pfandhaus ist, denn da passt die Neue Musik gar nicht wirklich hin“, sagt Jens Eggensperger.

Mehr Klarinette für NRW mit dem Multiphonics Festival, damit die Frage vielleicht irgendwann irrelevant ist, warum es denn explizit ein Klarinettenfestival sein muss. Annette Maye und Jens Eggensperger und ihre herausragenden und gedankenvoll kuratierten Konzerte werden Ihnen an fünf Festivaltagen immer wieder eines entgegenrufen: „Warum denn nicht?“

 

Allgemein Kommentar

Hackmeck | POLYMER 2021

Fraktale bilden durch das wiederholt angewendete Prinzip der Selbstähnlichkeit komplexe und einzigartige Strukturen. Die drei Komponisten und Musiker Benjamin Grau, Vincent Michalke und Philipp Lack haben ausgehend von den visuellen Formen ein Musikinstrument programmiert, das die mathematischen Prozesse auch in die musikalische Dimension überträgt. Im Rahmen der POLYMER – Reihe für Experimentalelektronik 2021 präsentieren sie ihr Projekt zum ersten Mal. Wir haben sie bei der Videoaufzeichnung zu einem Interview über Metadaten, Kontrolle und den kreativen Prozess zu dritt befragt.

Foto: Helene Heuser

Karl Ihr seid das erste Mal hier in Aktion als „Hackmeck“. Was verbindet Euch, wann habt ihr das Projekt begonnen?
Vincent Ja, das war letztes Jahr im Mai oder Juni als die Pandemie voll im Gange war. Da bin ich irgendwann auf die Idee gekommen, ein Laptop-Ensemble zu gründen. Etwas, das man dann möglicherweise auch nur über das Internet machen kann. Ich habe spontan an die beiden gedacht und einfach gefragt. Ich weiß gar nicht mehr wie ich angekommen bin…
Philipp Du hast es ziemlich klar beschrieben: ein Ensemble, das Metadaten herumschickt.
Benjamin [lacht] Klar für wen?
Philipp Ich habe sofort zugesagt, weil ich mir darunter direkt etwas vorstellen konnte.
Karl Was sind denn Metadaten. Du hast auch gesagt: ihr formt ein Metainstrument. Wie hängt das zusammen?
Vincent Das heißt grob gesagt, dass wir nicht die rohen Daten austauschen, also keinen Audio-Stream irgendwohin schicken. Sondern die Daten, die wir austauschen, sind auf einer gewissen Abstraktionsebene. Da geht es dann zum Beispiel um Skalen oder Formen, Strukturen und Klangfarben. Diese Daten schicken wir dann hin und her und die lösen dann bei jedem etwas Anderes aus.
Benjamin Aber wir spielen nicht jeder ein Instrument, sondern wir spielen alle an einem Instrument.
Karl Es geht also auch darum, ab einem gewissen Punkt die Kontrolle und den Zugriff auf bestimmte Parameter abzugeben?
Philipp Tatsächlich geht es bei Musik und insbesondere bei Komposition viel um Kontrolle. Aber das technische System, das wir erschaffen haben, hilft uns dabei das gewissermaßen zu organisieren. Wir werden teilweise selbst überrascht, was dabei herauskommt, und kuratieren dann eigentlich nur noch. Ich habe etwas weggegeben, der technische Apparat gibt etwas zurück und dann nicken wir in dem Augenblick nur noch ab, was aus dem Gesamtprozess heraus entstanden ist.
Vincent Ich empfinde diesen Prozess aber gar nicht so sehr als ein Gefühl von Kontrollverlust. Es ist eher ein positiv Überrascht-Werden. Man muss sich nicht um alle musikalischen Parameter kümmern, dabei kommt etwas Spannendes heraus, ohne dass man individuell so viel Arbeit hineinstecken muss.
Benjamin Ja, wobei… [Lachen] Die Programmierung alleine hat vier Monate gedauert. Dass wir in einer Programmiersprache arbeiten und eben nicht auf vorgefertigte Lösungen zurückgreifen, setzt ein unglaubliches Maß an Konzeption voraus: Was braucht man, was nicht? Was wollen wir machen und was nicht? Nur danach richtet sich, was mit diesen Tools dann auch möglich ist.
Philip Der Computer macht nur das, was man ihm sagt und hat darin alle Möglichkeiten. Das ist eigentlich das Problem: du musst dich am Anfang entscheiden, was Du willst, und dann mit dem Ergebnis leben, das zurück kommt.
Vincent Ich finde, es ist eine Balance dazwischen, einerseits genau vorzugeben, was klingen soll, und im anderen Extrem den Algorithmus einfach wild laufen zu lassen. Für mein Gefühl sind wir jetzt ganz gut dort angekommen, wo wir nicht alles per Hand komponiert haben – ganz und gar nicht – aber auch sehr viele Stellen so gezähmt haben, dass man sich das auch anhören mag, vielleicht.

Foto: Karl Ludwig

Karl Wenn der Computer diese Grenzen aufzeigt, gerät man ja in eine eigenartige Position, oder?
Benjamin Das macht total was mit einem, weil man eine sehr begrenzte musikalische Ausdrucksmöglichkeit hat. Fraktale klingen sehr häufig einfach wie Achtelketten oder Bachscher Kontrapunkt. Ich bin da gar kein Fan von, das ist ein ganz großer Konfliktpunkt.
Helene Das muss man dem Programm dann austrainieren?
Benjamin Genau. Sachen wie Phrasierung werden auf einmal wichtig. Wie kriegt man diesen Algorithmus dazu, dass er in irgendeiner Form phrasiert oder bestimmte Schwerpunkte setzt, die nicht so unfunky sind.
Helene Das hört sich teilweise an, also würden Computer Jazz spielen. Schon rhythmisch, aber algorithmisch rhythmisch. Es hat so einen „Swing“, aber der ist überhaupt nicht menschlich.
Benjamin Ja, das ist total witzig: Man programmiert da irgendetwas in seinem Kopf und hat verschiedene musikalische Strukturen erarbeitet. Dann kommen die Tonhöhen hinzu und alles verhält sich total anders. Im einen Teil nach Steve Reich und total gut, im anderen wie irgendein Vampir an der Orgel und super unangenehm.
Helene Als würde man ein Instrument bauen und gucken, was das kann.
Benjamin Ja, nur ist das eben keine Gitarre, sondern es ist eine Gitarre, die schreibt ihr eigenes Stück. Und dann sag ich „Nein, spiel das bitte anders.“
Helene Genau, man trainiert dieses Instrument…
Philipp Wenn du eben sagtest „die Grenzen des Computers“, würde ich das umdrehen: der Computer macht nur das, was man ihm sagt und hat alle Möglichkeiten. Und das ist eigentlich das Problem: du musst dich am Anfang entscheiden, was Du willst und dann mit dem leben, was zurückkommt.

Karl Welche Rolle nimmt das Visuelle dann in dieser Konstellation ein?
Vincent Konzeptionell eigentlich eine ziemlich große, weil wir uns wünschen, dass dieser Prozess, der die Musik generiert, nicht eine Blackbox ist, in der niemand merkt, wann sich Dinge ändern. Es soll möglichst deutlich gemacht werden, welche Strukturen und Prozesse sich abspielen, deshalb ist das Visuelle auch sehr plakativ.
Karl Sag doch nochmal, wie sieht dieses Material aus?
Helene Das sind Striche, die sich zu komplexen Strukturen verbinden. Du hast einen Block, dann kommt einer dazu und so baut sich das immer weiter auf.
Vincent Wir verwenden eben diese Fraktale. Die werden sehr häufig für Visualisierungen von Bäumen oder anderen natürlichen Sachen benutzt, weil die sich eben so verästeln. Bei der Visualisierung ist das ursprünglich so, dass es Regeln gibt, die sagen „jetzt geht der Strich nach vorne“ und dann kommt ein neuer Ast, der genau dasselbe Muster hat, nur kleiner. Das habe ich dann erstmal sehr direkt auf den Sound übertragen, indem es also erstmal eine Note gibt, die den Stamm darstellt, dann gibt es einen Ast und der ist eine Oktave höher, aber spielt dieselbe Melodie wie der Stamm. Und das geht immer so weiter.
Karl Ihr sprecht von „Komponieren“, aber es ist ja nicht das ganze Ding schon fertig, sondern ein live Prozess. Insofern ist ja die Grenze zur Improvisation recht fließend, wenn es auch um Interfaces und darum geht, wie ihr auf diesen Code, dieses Programm zugreift. Ist es so klar, dass ihr komponiert?
Benjamin
Also in diesem Falle ist es relativ determiniert durch die Fraktale. Aber das ist eine Frage, die sich ergibt. Wenn wir mit Controllern arbeiten, macht es mehr Sinn auch mehr Freiräume für uns zu schaffen. Die gibt es jetzt auch, aber dadurch, dass man eine bestimmte Form hat, die schon aus musikalischen Motiven besteht, macht es für mich Sinn, sich eine gewisse Dramaturgie zu überlegen: Da will ich mehr Obertöne haben, dann gehen die zurück, dann kommen sie wieder hinein, usw. Das ist dann auch irgendwie determiniert. Das schreibe ich mir auf und dann ist es Teil des Kompositionsprozesses. Das heißt, ich improvisiere gar nicht so stark, vielleicht minimal „Wie schnell bewege ich den Regler?“, aber das ist für mich keine Improvisation.
Philipp Tatsächlich ist uns auch schon der Gedanke gekommen, dass wir mit künstlicher Intelligenz arbeiten wollen. Das ist ein Visualisierungsprojekt. Ob das wirklich umzusetzen wäre, steht aber noch in den Sternen.

Foto: Karl Ludwig

Benjamin Ja, mehr Zusammenarbeit ist geplant. Aber Programmieren ist ein iterativer Prozess. Wir finden jetzt raus „Was hat funktioniert, was nicht?“, „Was für weitere Ansatzpunkte hätten wir gern?“, „Wie soll das umgesetzt werden?“, „Was war super umständlich, was war gut in der Bedienung?“. Dadurch entwickelt sich das eben.
Helene Ihr nennt Euch „Ensemble“, aber seid ja eigentlich nur zu dritt…
Vincent Wir sind uns nicht so ganz sicher, wie wir uns nennen sollen. „Ensemble“ oder „Trio“ rutscht manchmal so raus.
Benjamin Das sind ja auch so Neue Musik-Bezeichnungen. In Gesprächen mit den Videoleuten, auch für das Projekt, das im September aufgezeichnet werden wird, fiel immer der Begriff „Boyband“
Philipp [Lacht] Deswegen sind wir auch heute in Uniform gekommen…
Benjamin Ich weiß nicht. Wir machen zu dritt Musik, eben wirklich in der Gruppe, sodass es eigentlich eher ein Bandprozess ist, bei dem man zusammenkommt und gemeinsam an etwas arbeitet. Vor allen Dingen bei den Programmierarbeiten muss man einfach ein Konzept entwickeln, wie man das ganze umsetzen will, was die Rahmenbedingungen sind und was überhaupt die Zielsetzung ist. In diesem kreativen Prozess jeden Schritt gemeinsam zu gehen und sich auch um eine Konsensbildung zu bemühen, ist glaube ich total zentral. Deswegen eben „Ensemble“ und vielleicht auch ein bisschen „Boyband“.

 

 

Das Gespräch führten Karl Ludwig und Helene Heuser

Allgemein Gespräch

Power und Intimität zugleich

Das impakt Kollektiv für Improvisation und aktuelle Musik Köln

Wenn Philip Zoubek betont, in den letzten „fuchzehn“ Jahren hätten sich vermehrt Kollektive formiert, ist der österreichische Einschlag deutlich erkennbar – nicht ganz unauffällig in Köln, wo er vor acht Jahren an der Gründung des Kollektivs impakt beteiligt war. Doch ist solches Lokalkolorit nicht längst entwurzelt – erst recht mit ubiquitär gestreamten Konzerten und digitaler Vernetzung? „Wir leben in einem post-improvisatorischen Musik-Szenario, weil ganz viele von den Extremen bereits durchdekliniert wurden.“ antwortet Zoubek. „Es gab einen Pluralismus von eigenständigen Stilen, den man in verschiedenen Städten und Zentren angetroffen hat und wir sind eigentlich schon die nächste Generation, die damit spielerisch umgeht.“ Was also hält in der ungebunden freien Improvisation ein Kollektiv zusammen? Und wie profiliert sich ein Label, das mit „aktueller Musik“ laut eigener Beschreibung die „stilistische und klangliche Vielfalt der heutigen Zeit“ im Namen führt?

[Ich sortiere meine Werkzeuge/Materialien]*

Tatsächlich fischen die dreizehn Musiker*innen des Kollektivs „in sehr unterschiedlichen Gewässern“, meint Stefan Schönegg. Er selbst hat erst klassischen Kontrabass studiert, bevor er über den Jazz zur improvisierten Musik kam. Sein Projekt Enso etwa versammelt mit einer Viola da Gamba (Nathan Bontrager) oder einer Snare-Drum, die mit einer Vielzahl an Schlägeln und erweiterten Spieltechniken zum selbständigen Instrument wird (Etienne Nillesen), eigenwillige Klangkörper und verbindet sie auf Zyklus von 2019 und im erweiterten BIG Enso Album von 2020 zu filigranen, leisen, haptischen Texturen. Leonhard Huhn dagegen präsentiert auf Die Fichten veritable Jazz-Nummern wie „Blues for Dominik“ oder „Feudales Cabriolet“, die mit blue notes und synkopierten Licks freilich so augenzwinkernd wie die Titel klingen. Die schnellen, zellulären Mobiles der Pianistin Marlies Debacker sind an der neuen Musik geschult, Florian Zwißler bringt den Synthesizer ins Kollektiv ein und Salim Javaid erweitert den Klang des Saxofons mit Spieltechniken wie Multiphonics oder kehligem Growling. Sie alle haben ihre eigenen Formationen, in denen immer auch Musiker*innen mitwirken, die sich nicht zu impakt zählen. Die Schlagzeugerin Rie Watanabe etwa kommt aus der Neuen, komponierten Musik und mit der Alten Musik vertraut ist die Flötistin Miako Klein. So verbinden sich viele komplexe Moleküle zu einem polymerischen Gebilde, das schwer zu fassen ist.

Hexenschreie, Ungeheuerlachen

Ist also in dieser spielerischen Vielfalt, die aus den über 20 Releases im Katalog von impakt-Records spricht, der Kollektiv-Gedanke allein auf Organisatorisches begrenzt? „Ein Grund, warum sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren vermehrt Kollektive gegründet haben, war, dass man gemerkt hat: Einzelkämpfer*innentum zahlt sich nicht aus.“ Und Zoubek gesteht ein: „In gewisser Weise haben wir es aus Eigennutz gemacht.“ impakt ist dann ein loser Zusammenschluss von eigenständigen Musiker*innen, die sich für kulturpolitische Power zusammengetan haben. Denn vor allem ist das Kollektiv ein Phänomen der Kölner Szene und dient auch als Plattform zur Interessenvertretung und Darstellung für lokale Förderungen. Stefan Schönegg begründet denn auch den Austritt des Trompeters Brad Henkel und anderer aus dem Kollektiv mit dessen Wegzug nach Berlin: „Wir versuchen auch die Belange der improvisierten Musik zu vertreten und Leute, die jetzt nach Berlin ziehen, können aus der Ferne, was das angeht, nicht mehr so gut mitarbeiten.“

Suchen tue ich alte Klänge. Neue Klänge werden gefunden.

Gerade in Henkels Zusammenarbeit mit Jacob Wick „I saw a lightbulb flickering. I moved towards it and it was morning“ kristallisiert sich aber vielleicht am deutlichsten eine Klanglichkeit, die auch über kulturpolitische Zwecke hinaus die musikalische Vielfalt verbindet: Ohne eine einzige bestimmbare Tonhöhe erkunden die beiden Trompeter die Luftgeräusche ihres Instruments in flatternd bewegten Oberflächen, Schnalz- und Schließgeräuschen, deren Repetition die Grenze zum maschinellen weißen Rauschen verwischt. An dieser Grenze treten gepresste, höchste instabile Töne hinzu, unter denen die Oberfläche des Klangs brüchig wird. Durch äußerste Reduktion entstehen so intensive, intime Räume. Auch die neueste Veröffentlichung, Earis, vom Emiszatett der Cellistin Elisabeth Coudoux, bewegt sich an der Grenze zum Geräusch und verdichtet mikroskopische Details zu aufgewühlten Texturen. Klangliche Reduktion ist sicherlich ein impakt-Charakteristikum.

Die zufälligen Eigenschaften meines Instruments, dessen Oberflächen und materiellen Mängel.

Doch die langen sirenenartigen Heuler des Posaunisten Matthias Muche, Pegelia Golds irrisierende Stimme und die von Elisabeth Coudoux komponierte Struktur schaffen melodische und laute Gegenpole und geben auch diesem Album eine unvergleichbare Eigenständigkeit. Es ist diese nicht greifbare Kombination einer gemeinsamen Verschiedenheit, die die Mitglieder von impakt in einem schriftlichen Interview vor allem betonen: Im Kollektiv gäbe es „trotz aller Verschiedenheit ein Grundverständnis davon, was die anderen machen.“ Dem „Genau“, „Yes“ und „Absolut“ fügt auch Philip Zoubek hinzu: „Es gibt schon einen gemeinsamen Nenner, wenn man ein bisschen vom Material-Aspekt weggeht und die Haltung dahinter in Betracht zieht, wie man nämlich kommuniziert. Ich finde, da gibt es bei uns schon eine Gemeinsamkeit, unabhängig vom Material. Wie ist das interne Hör-Radar eingestellt? Das ist total schwierig zu definieren, aber es geht ein bisschen darum, wie eigentlich der Dialekt ist. Ich finde, da haben wir unser eigenes Ding.“

Der Raum, Energie und Tiefe eines Klangs

Ende Mai trifft impakt in einem gemeinsamen Konzert in Köln auf das Kollektiv gamut aus Zürich. Zwei Kollektive in der Stil-Freiheit der ungebundenen Improvisation – aktuelle Musik. Doch verpufft der gemeinsame Anfangsimpuls in Irritation, wartend ausgehaltenen Tönen und dem schüchternen Versuch eines Ornaments. Erschreckt verstecken sich die allzu klaren Töne der Akkordeonistin Tizia Zimmermann unter den körnigen Sounds der Bläser. Bei aller Aktualität und Offenheit tritt so gerade in Konfrontation mit einem anderen Kollektiv – mit seinem eigenen Label – hörbar zu Tage, wie schwierig improvisatorisches Verständnis und wie eigenständig der musikalische Dialekt des Kölner Kollektivs ist. Es ist eine unscharfe Treffsicherheit, die auch Philip Zoubek für die Musik von impakt anvisiert: „Wenn die Musik wirklich gut ist, kann sie eine ganz schöne Power und Intimität – beides zugleich eigentlich – erreichen.“

Aktuelle Musik ist Musik von Leuten, die nicht glauben, dass früher alles besser war.

Mit seinem Label kondensiert impakt das Kölsche Lokalkolorit und löst es im selben Atemzug in der Unvergleichbarkeit ihrer aktuellen Klänge wieder auf. Die Frage nach dem Kollektiv verschwindet so im Prozess, durch den es entsteht, und den die dreizehn Impaktler*innen gemeinsam verschieden umreißen: „Austausch und Support“ „Austausch auf allen Ebenen“ „Austausch und eine Möglichkeit mehr Leute zu erreichen mit dieser Musik“ „Schubkraft und das Gefühl mit ähnlichen Leuten an einem Strang zu ziehen“ „die einzige Möglichkeit sich beieinander zu halten und gegen diesen Egowahn anzukämpfen“ „Skepsis, Forschung, konstante Reflexion, Lust auf Neues, Spontanes und auf Improvisation“ „und die Liebe zur Improvisation, zum spontanen musikalischen Austausch“.

Karl Ludwig

* Die Einwürfe stammen aus einem schriftlichen Interview unter den Mitgliedern des Kollektivs. Das persönliche Interview mit Philip Zoubek und Stefan Schönegg fand am 10. Mai 2021 online statt. Herzlichen Dank ihnen beiden und dem impakt-Kollektiv.

Alle Fotos: imapkt e.V.

 

 

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