Blick auf Makroscope

NOIES 04 – gespräch MIT Makroscpoe

Nach Jahren des Lebens und Arbeitens in Zwischennutzungen entschied sich 2018 eine Gruppe von Künstler:innen, ein Haus inmitten der Innenstadt von Mülheim an der Ruhr zu kaufen: das Makroscope. Nach zweieinhalb Jahren Renovierung erstrahlt das Haus nun in neuem Glanz. Wir haben den einzigen festangestellten Mitarbeiter Felix Möser getroffen und ihn gefragt, was das Makroscope ausmacht.

Das Gespräch führten Hanna Fink und Verena Hahn

NOIES:
Das Makroscope ist ein „soziokulturelles Kunsthaus“. Was passiert im Makro?

Felix Möser:
Das Makro ist vieles, unter anderem ein Museum, nämlich das Museum für Fotokopie. Das ist eine Sammlung von Geräten, zum Teil aber auch von Copy Art, die schon seit 40 Jahren wächst und gedeiht und hier in Mülheim zum ersten Mal einen festen Standort hat. Es gibt im Haus außerdem Ateliers, einen Bandproberaum, ein Fotolabor, eine Künstler:innenwohnung, und auch einen Teil, der eher wie ein soziokulturelles Zentrum funktioniert. Konzerte, Workshops, Filmvorführungen, Raum für Veranstaltungsideen Anderer, die etwas im Haus machen wollen – es gibt einen Schwerpunkt auf Kunst, aber wir sind eben auch ein Kulturhaus.

N:
Wie ist das Makroscope organisiert? Gibt es künstlerische Leiter oder Hierarchien?

FM:
Das Makro ist als Verein organisiert, und diese Struktur nutzen wir nicht nur auf dem Papier. Es gibt einen gewählten Vorstand und dieser versucht, die Mitglieder wo nur möglich einzubeziehen. Darüber hinaus haben wir aber auch noch basisdemokratische Gremien, relativ frisch ist zum Beispiel ein Aktiventreffen. Das fungiert auch als erster Anlaufpunkt, wenn Leute ihre Ideen im Haus umsetzen wollen. Wir verstehen den Begriff Soziokultur so, dass unsere Strukturen und offene Räume nutzbar sind, solange es zum Konzept des Hauses passt; wir versuchen, gesellschaftliche Themen in unsere Praxis mit einzubeziehen. Ich bin der einzige hauptamtliche Mitarbeiter im Haus, im Vorstand sind nur Ehrenamtliche. Wir hoffen, dass wir noch weiter wachsen und eines Tages eine Strukturförderung bekommen, um weitere Stellen zu schaffen und zu festigen.

N:
Ihr wart lange geschlossen wegen Renovierungsarbeiten. Was ist nun anders als vorher?

FM:
Wir haben das Haus erst 2018 gekauft. Das Haus ist sehr alt und hat viele bauliche Probleme. Seit dem Krieg war es Einzelhandelsfläche (vorher Hotel, Bibliothek und NSDAP-Parteizentrale). Nach Ausbruch der Pandemie haben wir eine Nutzungsänderung beantragt, um mehr Bestandssicherheit zu haben und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, hier langfristig offiziell agieren zu können. Wir hatten daher zweieinhalb Jahre wegen Umbauten und einer umfassenden Brandschutzsanierung geschlossen. Jetzt ist das Haus offiziell ein Museum, es gibt bessere Raumaufteilungen, einen offiziell abgenommenen Brandschutz und beispielsweise tauglichere Ausstellungssituationen (professionelles Beleuchtungssystem, maßgeschneiderte Ausstellungsdisplays, Archivsystem und so weiter).

N:
Von wem bekommt ihr Unterstützung? Wie trägt sich das Haus überhaupt?

FM:
Es gibt verschiedene Bausteine der Finanzierung. Da ist zum Beispiel der Förderverein, der unter anderem die Reparaturen und den Hauskauf unterstützt hat. Auch im regulären Verein haben wir verhältnismäßig viele Mitglieder (circa 170) – das ist der schönste und wichtigste Baustein, der auch gerne noch wachsen darf. Es zeigt, dass es Bedarf gibt und enge Verbindungen zwischen Haus und Unterstützenden. Wir bekommen auch einige Mieteinkünfte durch Wohnungen im Haus. Natürlich erhalten wir auch Projektförderung und versuchen, in diesem Bereich so aktiv wie möglich zu sein. Wir haben aber eben keine feste kommunale oder landesweite Förderung für Betriebskosten oder Erhalt des Hauses. Wenn wir zum Beispiel 100.000 EUR hätten, könnten wir das Makro durch ein neues Dach langfristig auch als ein trockenes Haus erhalten, und wenn wir dann vielleicht noch 100.000 EUR pro Jahr fest als strukturelle Förderung erhalten würden, dann könnten wir davon auch Stellen schaffen, die das Haus nachhaltig weiterentwickeln würden, könnten sorgenfreier arbeiten. Da ist also mit Kinkerlitzchen (im Vergleich zu Wirtschaftsförderungen mit Millionen-Beträgen) extrem viel zu machen.

N:
Welche Rolle spielt Gemeinschaft im Makroscope?

FM:
Das Makro ist ursprünglich – das war 2013 – aus einer kleinen Gruppe von Leuten entstanden, damals noch als Offspace, wie das viele von uns aus der Szene kennen. Das war von Anfang an eine Sache von Freund:innen, und ist dann nach und nach gewachsen. Als wir uns 2018 zum Hauskauf entschlossen haben, wollten und mussten wir das Projekt natürlich vergrößern und auf viel mehr Schultern verteilen. Wir versuchen seither fortlaufend, die Hierarchien weiter abzubauen, offener zu werden. Das ist ein Prozess. Denn erstmal beginnt man mit der Struktur, wie sie die Institutionen bzw. die Gerichte vorgeben, in unserem Fall der eingetragene Verein. Davon ausgehend versucht man dann, das Ganze durch mehr Gremien und mehr Mitbestimmung für Nutzer:innen und Mitglieder noch stärker zu demokratisieren. Es gibt also einen Prozess, das Haus als basisdemokratische Gemeinschaft aufzustellen. “Haus im Eigentum seiner Nutzer*innen” haben wir das mal genannt.

Auf persönlicher Ebene ist es auch ein Ort für genau jene Kulturschaffenden, die vorher stets in kurzlebigen Strukturen arbeiten mussten, und das hier jetzt zusammen, selbstorganisiert und unabhängig, neu aufstellen wollen. Die Künstler:innen wohnen auch teilweise im Haus, begreifen es als Möglichkeitsraum und erforschen, wie man solidarisch miteinander umgehen kann. Manchmal kommt es uns vor wie eine Burg – gegen die Zumutungen der Außenwelt.

N:
Auf der einen Seite gibt es diese solidarische Gruppe von Leuten, auf die ihr euch verlassen könnt. Wie schafft ihr es denn trotzdem, offen zu bleiben? Wie vernetzt ihr euch auch außerhalb dieser für euch wichtigen Szene?

FM:
Das ist wirklich etwas, woran man aktiv arbeiten muss. Denn es geht ja sehr schnell, dass man zumindest nach außen hin elitär oder unzugänglich wirken kann. Ganz lässt sich das wohl nicht vermeiden, aber wir versuchen, eine offene Ausstrahlung zu haben und kooperieren natürlich auch mit anderen Organisationen oder Initiativen oder Vereinen – teilweise mit etablierten wie zum Beispiel mit dem Ringlokschuppen, aber auch mit jungen Gruppen und der Freien Szene. Aber ja, es ist eine Herausforderung, diese Offenheit, die man sich auf die Fahne schreibt, im Alltag dann auch wirklich umzusetzen. Wie gut uns das gelingt, werden die nächsten Jahre zeigen. Wir haben ja erst seit kurzem wieder geöffnet, aber bereits viele Ideen sammeln können, die auch ein breites Spektrum von Kultur abbilden. Deswegen wird es hier in Zukunft wirklich sehr verschiedene Veranstaltungen geben, einige sehr niedrigschwellige (Jam-Session, Kneipenabende), andere nischiger und anspruchsvoller. Diese Bandbreite bewirkt hoffentlich eine Zugänglichkeit.

N:
Werdet ihr von kommunaler oder regionaler Seite unterstützt?

FM:
Wir haben ein gutes Verhältnis zu Stadtverwaltung und Kulturamt. Die Stadt ist allerdings sehr arm, sodass es da keine größeren Förderungen finanzieller Natur gibt – aber eben kurze Wege in der Abstimmung oder bei konkreten Problemen. Auf Landesebene gibt es natürlich mehr Fördermöglichkeiten, dafür aber weniger Kontakte. Vor allem profitieren wir davon, dass wir Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft soziokultureller Zentren sind. Das ist ein sehr produktiver Kreis der Zentren in NRW, der von den Mitgliederhäusern aktiv gelebt wird.

N:
Kulturelle Zentren haben es in Nachbarschaften nicht immer leicht. Ihr habt auch schon Einschüchterungsversuche durch die AfD erfahren. Wie erlebt ihr den Austausch mit Nachbarschaft und Stadtgesellschaft?

FM:
Wie so viele Kunst- und Kulturhäuser im ganzen Bundesgebiet, sind auch wir einer Kampagne der AfD ausgesetzt. Diese Partei arbeitet mit hetzerischen Pressemitteilungen, versucht zu diffamieren und delegitimieren, zu dämonisieren. Sie wollen in der Kultur eine Hegemonie errichten, Deutungshoheit über Diskurse erlangen, das Sagbare zu verschieben. Das liegt daran, dass AfD & Co. – teilweise hoffentlich zurecht – in Kunst und Kultur ihren Gegner sehen. Ihre Hetze fällt in Mülheim in der Stadtgesellschaft, vor allem in der Politik, überhaupt nicht auf fruchtbaren Boden. Es hat eher zu einer kleinen Welle der Solidarität mit dem Haus geführt, eben weil die Vorwürfe auch so offensichtlich jeder Grundlage entbehren. Sie sagen zum Beispiel, wir seien ein “Hort linksextremer Ideologie”, weil wir uns gegen rechts positionieren. Andere Kulturhäuser haben es da schwerer, zum Beispiel das Autonome Zentrum in Mülheim, das seit Jahrzehnten klassische Kultur- und Jugendarbeit leistet. Aber trotz aller Solidarität bleibt jede Einschüchterung immer unangenehm. Und es bleibt auch immer etwas Sorge hängen.

Aber Druck und Einschüchterungen kommen nicht nur von der AfD und treffen natürlich nicht nur Kultureinrichtungen. In unserer Nachbarschaft, in der Innenstadt und im Viertel Eppinghofen, gibt es viele Gewerbetreibende mit migrantischem Hintergrund, die auf andere, schlimmere Art betroffen sind. Gerade die Essener Polizei, die auch für Mülheim zuständig ist, fährt seit Jahren eine rassistische Kampagne gegen sogenannte Clan-Kriminalität. Da gibt es seit Jahren medienwirksame Großrazzien hier in der Nachbarschaft, vom Gemüseladen bis zur Shisha Bar. Der Druck von Rechts ist also vielen im Viertel ein Begriff. Wir nehmen es zum Anlass, uns stärker zu positionieren. Zum Beispiel machen wir im November eine kleine Vortragsreihe zum Thema „Kulturkampf von Rechts“.

N:
Ihr versucht, mit eurem Angebot verschiedene Zielgruppen einzuladen, auch Menschen, die bisher nicht mit Experimentalkunst oder experimenteller Musik in Berührung gekommen sind. Auf welchen Wegen gelingt euch das?

FM:
Experimentelle Kunst und Musik, und Nischen generell, sind ein wichtiger Bestandteil des Hauses, einfach aufgrund der Geschichte und des Interesses der Personen, die die Gemeinschaft prägen. Aber wir erleben schon seit Jahren, dass Leute, die zum Beispiel zum Kneipenabend kamen, interessiert und offen auf unser nischigeres Programm reagieren und sich davon begeistern lassen. Wir versuchen auch, es den Leuten möglichst leicht zu machen: Wir legen Wert auf spielerische Ansätze und laden in erster Linie Menschen ohne akademischen Background ein. Das ist keine Entscheidung gegen Leute mit diesem Hintergrund, sondern einfach eher unser Schwerpunkt: Viel DIY-Szene, Leute, die auch mal live scheitern und selbst Forscher:innen sind. Die Atmosphäre ist oft sehr aufmerksam, aber auf eine gewisse Art und Weise unernst. Das Publikum ist sehr gemischt.

N:
Das Makro ist auch bekannt für das “Shiny Toys Festival”. Um was geht es bei “zeitbasierter Experimentalkultur”?

FM:
Mit diesem sperrigen Begriff kann man eigentlich alles fassen, was sich (in der Zeit) bewegt. Zum Beispiel Lichtkunst und Musik. Shiny Toys war also ein Festival für abseitige audiovisuelle Experimente. Das Festival fand hauptsächlich in größeren Räumen statt, vor allem im Theater Ringlokschuppen. Nach zwölf oder dreizehn Jahren hat 2021 das Shiny Toys Festival zum letzten Mal stattgefunden. Wir haben einfach Lust, nochmal neu anzufangen, weil wir jetzt ja dieses Haus haben. In Zukunft probieren wir Konzepte aus, die viel mehr hier vor Ort stattfinden und mit diesen anderen Gegebenheiten umgehen – mit Fokus auf kleine Räume, auf Ausprobieren, auf näher-dran-Sein. Dieses Jahr waren das die Muhlheimer Zóngtage, ein kleines Festival mit internationalen Musikern und Klangkünstlern aus dem DIY-Underground.

N:
Wie würdest du „abseitige“ Musik beschreiben?

FM:
„Abseitig“ ist ein relativ charmantes Wort, wenn man Genrebegriffe eigentlich vermeiden und nur andeuten will, in welche 100 Richtungen es geht – und in welche anderen 100 nicht. Ein großer Teil unseres Programms ist abseits des Mainstreams, in unserem Falle aber auch gerne abseits des üblichen Undergrounds. Wenn es eben wirklich um experimentelle Klangkunst geht, dann sind auch Fans des Freejazz oder der Neuen Musik manchmal etwas überfordert oder im Idealfall überrascht. Wir verantworten aber durchaus auch Sachen in Richtung Pop, die aus unserer Sicht schon fast wieder Mainstream sind, die man aber in jedem Fall dennoch abseitig nennen kann.

N:
Felix, du hast gemeinsam mit Dennis Dycks das Label Ana Ott. Befruchten sich Haus und Label gegenseitig?

FM:
Label und Haus sind über die Jahre untrennbar zusammengewachsen. Ursprünglich haben Dennis und ich eine Konzertreihe im Makro etabliert. Und dann sind wir irgendwann selbst Teil des Hauses geworden, das Label damit auch. Wir haben hier unser Büro und unsere Werkstatt. Eigentlich sind auch alle anderen Gewerke des Hauses auf ähnliche Art miteinander verwachsen. Selbst das Museum für Fotokopie haben wir auf eine interdisziplinäre Art sehr eng mit allen anderen Bereichen des Hauses verknüpft. Mittlerweile gibt es dort eine eigene Klangkunstreihe, bei der Musiker*innen und Künstler*innen gebeten werden, mit den Kopiergeräten als Instrumenten zu musizieren. Jeden Monat kommt eine neue Folge heraus. Umgekehrt sind mehrere Artworks fürs Label im Museum entstanden.

N:
Viele Künstler:innen und Musiker:innen zieht es in die größeren Städte. Was hält euch und dich, ganz persönlich, im Ruhrgebiet, jetzt sogar mit Hauskauf?

FM:
No offense, aber man muss es sich auch leisten können, aus Spaß in eine hippe Stadt zu ziehen. Das ist für Leute, die schon seit Jahren einen künstlerischen Lebensstil pflegen, gar nicht so einfach möglich. Und in einer Stadt wie Köln hätten wir uns natürlich auch niemals ein Haus in allerbester Innenstadtlage leisten können. Und es hat viele weitere Vorteile, im provinziellen Ruhrgebiet zu sein. Vieles von dem, was man ausprobiert, gibt es noch nicht. Und wir sind froh und stolz, dass unsere Gäste auch aus den umliegenden Städten zu unseren Veranstaltungen kommen. Im Ruhrgebiet gibt es eben auch nicht so viele Orte und Institutionen, die solche Sachen überhaupt machen.

Es ist aber schon so, dass wir immer wieder tolle Leute verlieren, das ist natürlich eine ständige Herausforderung.

N:
Viel aus eurem Programm kommt aus der DIY-Szene. Häufig wird dort umsonst gearbeitet. Was bräuchte die DIY-Szene, um ihre Arbeit unter guten Bedingungen zu machen?

FM:
Das ist eine sehr wichtige Frage. Wenn gesellschaftlich realistisch betrachtet würde, was künstlerische Arbeit zum Leben aller beiträgt, dann müsste es natürlich eine bedingungslose Grundfinanzierung dafür geben, dass man das tut – für alle: für Institutionen, für Orte, aber auch für die eigene Arbeit. Das wird es in Deutschland wohl nie geben. Deswegen tappen oft auch DIY-Initiativen in die Selbstausbeutungsfalle. Sie wollen unbedingt, dass Sachen auf die Beine gestellt werden, und sind dann dafür bereit, sich selbst auszubeuten. Wir haben vor ein paar Jahren die Zeitung „Hungerspiele“ gemacht, “Berichte aus dem Ausbeutungsbetrieb Underground“. Man muss darüber reden, und wo immer es geht, solche Sachen nicht als selbstverständlich begreifen und auch in Förderanträgen mitdenken. Man muss versuchen, alle Beteiligten fair zu entlohnen, zumindest ansatzweise, zumindest symbolisch. Nicht nur die Musiker:innen, sondern auch die Leute an der Theke, am Mischpult, Einlass usw. Das klappt nur selten, es würde also nur sehr wenig Programm überbleiben, wenn wir alle aufhören würden, uns auszubeuten – das ist die Zwickmühle.

Ein kleines Beispiel, wo es klappt, ist das Residenzprogramm “Zu Gast bei Urbane Künste Ruhr”, in dem Künstler für ein Jahr im Makroscope leben und arbeiten. Im Moment sind das Haha Wang und Deniz Aktaş. Der Sinn der Residency ist es, ein Jahr ohne Sorgen arbeiten zu können – oder auch nicht zu arbeiten und einfach nur Eindrücke zu sammeln. Das ist für künstlerische Arbeit ja mindestens genauso wichtig wie ein fertiges Werk, und kommt aufgrund der Förderlogiken, in denen wir uns alle meist bewegen, zu kurz: dass nämlich immer Projekte und Ergebnisse produziert werden sollen. Das Programm ist eine echte Bereicherung, weil diese Leute natürlich komplett neue Inspiration ins Haus bringen. Wir, die im Haus zusammenleben und arbeiten, können ihnen dafür einiges an Mitwirkung und wechselseitigen Impulsen bieten.

N:
Was steht die nächsten Monate an?

FM:
Durch die lange Schließphase haben wir richtig viele Konzerte nachzuholen. Wir machen von September bis Dezember eigentlich das Konzertprogramm eines ganzen Jahres. Ich bin sehr gespannt, wie das angenommen wird – es ist ja auch viel verlangt vom Publikum. Das Programm ist aus meiner Sicht aber extrem stark. Wir haben unsere Konzertreihe inklusive der Muhlheimer Zòntage 2022, außerdem die Reihe „Filmgesellschaft“ fünf Veranstaltungen. Filmschaffende aus der Region werden eingeladen, einen Abend mit Lang- oder Kurzfilmen zu kuratieren und darüber zu diskutieren. Im Dezember lassen wir das Jahr dann ausklingen bei unserem traditionellen Jahresabschlussweihnachtskonzert mit der Band International Music.

Felix Möser ist der einzige festangestellte Mitarbeiter des soziokulturellen Kunsthaus Makrosope in Mülheim an der Ruhr. Mit Dennis Dycks leitet er das Label Ana Ott, und kümmert sich im Makropscope unter anderem um Programmplanung, Buchhaltung und Vermietung.

Gespräch

CERA 4_ Sonification of a spheric sculpture

Íngrid Pons i Miras zwischen Bühnenbild und Klangkunst
Nathalie Brum war beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf | 16.–20.2.2022 R008

Wenn meine Freundin Elisa Metz sagt, in diesem Jahr gebe es beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf besonders viele figurative Darstellungen, dann muss ich ihr Recht geben. Die Arbeiten, die wir uns in den Räumen der Ateliers anschauen, sind auf eine Weise melancholisch, die ich von Werken der zeitgenössischen Kunst in den letzten Jahren so nicht mehr gewohnt war. Portraits von menschlichen Gesichtern auf Leinwänden nicht größer als ein DIN-A4 Blatt haben es uns sehr angetan, weil sie eindringlich aber nicht aufdringlich wirken.
Doch eine weitere Tatsache fällt auf: die Räume der Ateliers werden als Teil der Ausstellung von Kunstwerken mitbedacht. Raum und Kunst verschmelzen in einigen Werken zu einer Einheit. Die Urheber:innen jener Werke, die sich in einem höchstens 30m² großen Raum in direkter Nachbarschaft zu sechs oder sieben weiteren Ausstellungsstücken in ihrer vollen Wirkung behaupten müssen, tun mir da fast ein bisschen leid. Kleine Fernseher mit Sound und Tonaufnahmen aus Lautsprechern machen es ihnen dabei nicht leichter. Vielleicht hat es mir deshalb eine klangkünstlerische Arbeit ganz besonders angetan, die einen ganzen Raum mit insgesamt 26 Lautsprechern bis ins letzte Detail ausgefüllt hat.

 

 

 

Die Klanginstallation von Íngrid Pons i Miras, Will-Jan Pielage, Sebastian Fecke Diaz, Joseph Baader und Paul John lässt die Besucher:innen in einen komplett anderen Kosmos tauchen. Während sich im Gang der Akademie die Menschenmenge durch die sonnengefluteten, weißen Flure schiebt und über allem ein leichter Hall von murmelnden, kommentierenden und sich austauschenden Grüppchen schwebt, ist die Black Box von CERA4 ein Gegenentwurf.
Durch einen schwarzen Vorhang betritt man den Eingang zur Installation und gelangt über eine Stahltreppe auf eine quadratische Plattform aus Gitterrosten. Ringsum Brüstungen aus Stahl – sowie aus unterschiedlichen Winkeln insgesamt 26 Lautsprecher. Unter der Plattform dezent sichtbar Stacks von Servern und Tontechnik; um die Plattform herum ein schwarzes scheinbares Nichts. Synthetische Töne unterschiedlicher Frequenz tröpfeln in den Raum hinein und verstärken angesichts des Trubels im Gang die Unwirklichkeit dieser Inszenierung. Es ist eine eher stille und ruhige Passage mit punktuellen Tönen, die ich in diesem Moment erleben darf. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen, überlagern sich und trennen sich dann wieder. Mal im Stereo, mal Mono, dann langsam aber sicher ein dröhnender Bass. Nichts von dieser Soundkomposition scheint vorhersehbar zu sein. Gerne wäre ich noch länger auf der Plattform stehen geblieben, doch da kommen schon die nächsten Besucher*innen und das Verweilen von vielen Menschen auf engem Raum gebietet sich (immer noch) nicht.

Ein Blick hinein zeigt Seiten über Seiten von Codes, die wahrscheinlich die Programmierung dieser Sonifikation darstellen. Doch was genau wird hier sonifiziert? Das Buch beschreibt das Konzept als Sonifikation einer Netzstruktur in Kugelform, die an die geodätischen Kuppeln von Buckminster Fuller erinnert. Doch sind im Unterschied dazu die Dreiecke, aus denen sich die Kugel bei CERA4 bildet, unterschiedlich groß und haben verschieden große Winkel.

„Cera4 ist die Sonifikation einer sphärischen Skulptur, eine Arbeit, konzentriert auf das Zuhören in Zeiten der Hegemonie des Auges. Die Sonifikation basiert auf Cera2, einer unregelmäßigen sphärischen Triangulation aus Metallstreben von zwei Metern Durchmesser. Die Oberfläche wird aus 60 Knoten gebildet, die 112 Polygone formen. Die Knotenpunkte wurden von Mathematikern der Technischen Universität Dortmund vermessen und in ein dreidimensionales Koordinatensystem überführt.“ (Zitat aus der Buchdokumentation über CERA4)

Wenn man sich die binaurale Dokumentation des Projekts anhört, dann gibt es noch ganz andere klangliche Effekte der Komposition je nach Ansatz der Sonifikation. Mal sind es glockenhafte Töne, hell und klar, mal klingen sie gedämpft und blechern, dicht und chaotisch, mal erinnern die Klänge an eine verzerrte Gitarre. Für die Spatialisierung, d. h. die Verteilung der Klänge im Raum anhand der 26 Lautspecher, wurde das Ambisonics-Verfahren angewendet. Ein dreidimensionales Klangfeld konnte somit erfahrbar gemacht werden – wenn man die Arbeit vor Ort mit dem Klangsystem erlebt hat.

Nicht nur als Klangkünstlerin, sondern auch als Architektin bin ich weder Fan von White Cubes noch von Black Boxes, weil sie den real existierenden physischen Raum gerne negieren und damit eine Neutralität von Räumen suggerieren. Dennoch empfinde ich das konsequente Beschallungs- und Inszenierungskonzept in der Raumwirkung im Vergleich zu den restlichen Arbeiten der Akademie als erfrischend anders. Die Inszenierung dieser Abschlussarbeit der Künstlerin Íngrid Pons i Miras kommt nicht von ungefähr: 1975 in Barcelona geboren, schloss sie ein Studium als Querflötistin und Musikpädagogin am Conservatori Superior de Música del Liceu ab, bevor sie sich ab 2012 der Verbindung von Klang und Raum widmete und in der Bühnenbildklasse der Kunstakademie studierte. Einige Aufführungshäuser in NRW durften bereits von ihrer Expertise profitieren. Aktuell ist sie für das Bühnenbild im Schauspielhaus Bochum tätig. Hoffentlich wird der Klang auch in Zukunft die Nähe zur bildenden Kunst suchen – oder auch vice versa.

von Nathalie Brum

Alle Fotos von Marina.Kiga

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