Auf diesem Foto sieht man Komponist Manos Tsangaris und Violinistin Karen Hellqvist, die ihre Köpfe auf einen Tisch gelegt haben. Zwischen ihren Köpfen befindet sich eine Vielzahl von Waldteufeln, einem Instrument, das ähnlich wie eine Trommel aussieht.

NOIES 04 – verliebt IN Waldteufel

Für Musiker:innen und Künstler:innen sind ihre Instrumente und ihre Werkzeuge nicht nur Mittel zum Zweck. Wer ganz indiskret mithört, wird Zeuge von Liebesbekundungen, Beziehungsdramen und Alltagsstreitigkeiten zwischen Komponistin und Theremin, Klangkünstler und Laptop – und das tun wir sehr gerne in der Rubrik “verliebt IN” unserer Zeitung NOIES.

In der vierten Ausgabe geht es zurück an den Ursprung des Grunzens, Knackens und Röhrens. Der Klang des volkstümlichen Waldteufel klingt, je nach Spielart, nach Zikaden, aufziehendem Gewitter oder zumindest knurrendem Magen. Komponist Manos Tsangaris räumt dem kleinen Instrument aus Trommel, Holzstab und Draht den Platz ein, den es verdient.

Manos schickte uns außerdem dieses Video, in welchem der Waldteufel im Sopranino zu uns spricht:

Manos Tsangaris ist Komponist, Trommler und Installationskünstler und zählt zu den bedeutendsten Vertreter:innen des neuen Musiktheaters. Seit den 1970er Jahren erforscht er die Bedingungen der Aufführung als wesentlichen Gegenstand von Komposition.

Artikel

NOIES – GEDANKEN ÜBER

Viola Yip | Foto: Gerhard Kühne

GEDANKEN ÜBER den Körper als Technologie
von Viola Yip

Als Künstlerin beschäftige ich mich damit eigene Instrumente zu bauen und entwickele Klangperformances an der Schnittstelle von Komposition, Performance, Improvisation und Klangkunst, wobei ich die Beziehungen zwischen Medien, Materialien und dem Raum durch performative musikalische Körper erforsche. Musikalische Körper spielen in meiner künstlerischen Arbeit seit jeher eine wichtige Rolle. Jenseits traditioneller Vorstellungen von Technik und deren Exekution fungieren sie als Arbeitshypothese für verschiedene künstlerische Konzepte:

Allgemein Artikel

NOIES – THOUGHTS ON

Viola Yip | Photo: Gerhard Kühne

THOUGHTS ON body as technology
by Viola Yip

As an artist, I have been interested in creating new self-built instruments and developing sound performances at the intersection of composition, performance, improvisation and sound art, exploring various relationships between media, materiality and space through performative musical bodies.
Musical bodies always play a significant role in my artistic work. Beyond the traditional notion of techniques and executions, they serve as an intersectional working-in-progress for various artistic concepts:

Allgemein Artikel

CERA 4_ Sonification of a spheric sculpture

Íngrid Pons i Miras zwischen Bühnenbild und Klangkunst
Nathalie Brum war beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf | 16.–20.2.2022 R008

Wenn meine Freundin Elisa Metz sagt, in diesem Jahr gebe es beim Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf besonders viele figurative Darstellungen, dann muss ich ihr Recht geben. Die Arbeiten, die wir uns in den Räumen der Ateliers anschauen, sind auf eine Weise melancholisch, die ich von Werken der zeitgenössischen Kunst in den letzten Jahren so nicht mehr gewohnt war. Portraits von menschlichen Gesichtern auf Leinwänden nicht größer als ein DIN-A4 Blatt haben es uns sehr angetan, weil sie eindringlich aber nicht aufdringlich wirken.
Doch eine weitere Tatsache fällt auf: die Räume der Ateliers werden als Teil der Ausstellung von Kunstwerken mitbedacht. Raum und Kunst verschmelzen in einigen Werken zu einer Einheit. Die Urheber:innen jener Werke, die sich in einem höchstens 30m² großen Raum in direkter Nachbarschaft zu sechs oder sieben weiteren Ausstellungsstücken in ihrer vollen Wirkung behaupten müssen, tun mir da fast ein bisschen leid. Kleine Fernseher mit Sound und Tonaufnahmen aus Lautsprechern machen es ihnen dabei nicht leichter. Vielleicht hat es mir deshalb eine klangkünstlerische Arbeit ganz besonders angetan, die einen ganzen Raum mit insgesamt 26 Lautsprechern bis ins letzte Detail ausgefüllt hat.

 

 

 

Die Klanginstallation von Íngrid Pons i Miras, Will-Jan Pielage, Sebastian Fecke Diaz, Joseph Baader und Paul John lässt die Besucher:innen in einen komplett anderen Kosmos tauchen. Während sich im Gang der Akademie die Menschenmenge durch die sonnengefluteten, weißen Flure schiebt und über allem ein leichter Hall von murmelnden, kommentierenden und sich austauschenden Grüppchen schwebt, ist die Black Box von CERA4 ein Gegenentwurf.
Durch einen schwarzen Vorhang betritt man den Eingang zur Installation und gelangt über eine Stahltreppe auf eine quadratische Plattform aus Gitterrosten. Ringsum Brüstungen aus Stahl – sowie aus unterschiedlichen Winkeln insgesamt 26 Lautsprecher. Unter der Plattform dezent sichtbar Stacks von Servern und Tontechnik; um die Plattform herum ein schwarzes scheinbares Nichts. Synthetische Töne unterschiedlicher Frequenz tröpfeln in den Raum hinein und verstärken angesichts des Trubels im Gang die Unwirklichkeit dieser Inszenierung. Es ist eine eher stille und ruhige Passage mit punktuellen Tönen, die ich in diesem Moment erleben darf. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen, überlagern sich und trennen sich dann wieder. Mal im Stereo, mal Mono, dann langsam aber sicher ein dröhnender Bass. Nichts von dieser Soundkomposition scheint vorhersehbar zu sein. Gerne wäre ich noch länger auf der Plattform stehen geblieben, doch da kommen schon die nächsten Besucher*innen und das Verweilen von vielen Menschen auf engem Raum gebietet sich (immer noch) nicht.

Ein Blick hinein zeigt Seiten über Seiten von Codes, die wahrscheinlich die Programmierung dieser Sonifikation darstellen. Doch was genau wird hier sonifiziert? Das Buch beschreibt das Konzept als Sonifikation einer Netzstruktur in Kugelform, die an die geodätischen Kuppeln von Buckminster Fuller erinnert. Doch sind im Unterschied dazu die Dreiecke, aus denen sich die Kugel bei CERA4 bildet, unterschiedlich groß und haben verschieden große Winkel.

„Cera4 ist die Sonifikation einer sphärischen Skulptur, eine Arbeit, konzentriert auf das Zuhören in Zeiten der Hegemonie des Auges. Die Sonifikation basiert auf Cera2, einer unregelmäßigen sphärischen Triangulation aus Metallstreben von zwei Metern Durchmesser. Die Oberfläche wird aus 60 Knoten gebildet, die 112 Polygone formen. Die Knotenpunkte wurden von Mathematikern der Technischen Universität Dortmund vermessen und in ein dreidimensionales Koordinatensystem überführt.“ (Zitat aus der Buchdokumentation über CERA4)

Wenn man sich die binaurale Dokumentation des Projekts anhört, dann gibt es noch ganz andere klangliche Effekte der Komposition je nach Ansatz der Sonifikation. Mal sind es glockenhafte Töne, hell und klar, mal klingen sie gedämpft und blechern, dicht und chaotisch, mal erinnern die Klänge an eine verzerrte Gitarre. Für die Spatialisierung, d. h. die Verteilung der Klänge im Raum anhand der 26 Lautspecher, wurde das Ambisonics-Verfahren angewendet. Ein dreidimensionales Klangfeld konnte somit erfahrbar gemacht werden – wenn man die Arbeit vor Ort mit dem Klangsystem erlebt hat.

Nicht nur als Klangkünstlerin, sondern auch als Architektin bin ich weder Fan von White Cubes noch von Black Boxes, weil sie den real existierenden physischen Raum gerne negieren und damit eine Neutralität von Räumen suggerieren. Dennoch empfinde ich das konsequente Beschallungs- und Inszenierungskonzept in der Raumwirkung im Vergleich zu den restlichen Arbeiten der Akademie als erfrischend anders. Die Inszenierung dieser Abschlussarbeit der Künstlerin Íngrid Pons i Miras kommt nicht von ungefähr: 1975 in Barcelona geboren, schloss sie ein Studium als Querflötistin und Musikpädagogin am Conservatori Superior de Música del Liceu ab, bevor sie sich ab 2012 der Verbindung von Klang und Raum widmete und in der Bühnenbildklasse der Kunstakademie studierte. Einige Aufführungshäuser in NRW durften bereits von ihrer Expertise profitieren. Aktuell ist sie für das Bühnenbild im Schauspielhaus Bochum tätig. Hoffentlich wird der Klang auch in Zukunft die Nähe zur bildenden Kunst suchen – oder auch vice versa.

von Nathalie Brum

Alle Fotos von Marina.Kiga

Artikel Review

Power und Intimität zugleich

Das impakt Kollektiv für Improvisation und aktuelle Musik Köln

Wenn Philip Zoubek betont, in den letzten „fuchzehn“ Jahren hätten sich vermehrt Kollektive formiert, ist der österreichische Einschlag deutlich erkennbar – nicht ganz unauffällig in Köln, wo er vor acht Jahren an der Gründung des Kollektivs impakt beteiligt war. Doch ist solches Lokalkolorit nicht längst entwurzelt – erst recht mit ubiquitär gestreamten Konzerten und digitaler Vernetzung? „Wir leben in einem post-improvisatorischen Musik-Szenario, weil ganz viele von den Extremen bereits durchdekliniert wurden.“ antwortet Zoubek. „Es gab einen Pluralismus von eigenständigen Stilen, den man in verschiedenen Städten und Zentren angetroffen hat und wir sind eigentlich schon die nächste Generation, die damit spielerisch umgeht.“ Was also hält in der ungebunden freien Improvisation ein Kollektiv zusammen? Und wie profiliert sich ein Label, das mit „aktueller Musik“ laut eigener Beschreibung die „stilistische und klangliche Vielfalt der heutigen Zeit“ im Namen führt?

[Ich sortiere meine Werkzeuge/Materialien]*

Tatsächlich fischen die dreizehn Musiker*innen des Kollektivs „in sehr unterschiedlichen Gewässern“, meint Stefan Schönegg. Er selbst hat erst klassischen Kontrabass studiert, bevor er über den Jazz zur improvisierten Musik kam. Sein Projekt Enso etwa versammelt mit einer Viola da Gamba (Nathan Bontrager) oder einer Snare-Drum, die mit einer Vielzahl an Schlägeln und erweiterten Spieltechniken zum selbständigen Instrument wird (Etienne Nillesen), eigenwillige Klangkörper und verbindet sie auf Zyklus von 2019 und im erweiterten BIG Enso Album von 2020 zu filigranen, leisen, haptischen Texturen. Leonhard Huhn dagegen präsentiert auf Die Fichten veritable Jazz-Nummern wie „Blues for Dominik“ oder „Feudales Cabriolet“, die mit blue notes und synkopierten Licks freilich so augenzwinkernd wie die Titel klingen. Die schnellen, zellulären Mobiles der Pianistin Marlies Debacker sind an der neuen Musik geschult, Florian Zwißler bringt den Synthesizer ins Kollektiv ein und Salim Javaid erweitert den Klang des Saxofons mit Spieltechniken wie Multiphonics oder kehligem Growling. Sie alle haben ihre eigenen Formationen, in denen immer auch Musiker*innen mitwirken, die sich nicht zu impakt zählen. Die Schlagzeugerin Rie Watanabe etwa kommt aus der Neuen, komponierten Musik und mit der Alten Musik vertraut ist die Flötistin Miako Klein. So verbinden sich viele komplexe Moleküle zu einem polymerischen Gebilde, das schwer zu fassen ist.

Hexenschreie, Ungeheuerlachen

Ist also in dieser spielerischen Vielfalt, die aus den über 20 Releases im Katalog von impakt-Records spricht, der Kollektiv-Gedanke allein auf Organisatorisches begrenzt? „Ein Grund, warum sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren vermehrt Kollektive gegründet haben, war, dass man gemerkt hat: Einzelkämpfer*innentum zahlt sich nicht aus.“ Und Zoubek gesteht ein: „In gewisser Weise haben wir es aus Eigennutz gemacht.“ impakt ist dann ein loser Zusammenschluss von eigenständigen Musiker*innen, die sich für kulturpolitische Power zusammengetan haben. Denn vor allem ist das Kollektiv ein Phänomen der Kölner Szene und dient auch als Plattform zur Interessenvertretung und Darstellung für lokale Förderungen. Stefan Schönegg begründet denn auch den Austritt des Trompeters Brad Henkel und anderer aus dem Kollektiv mit dessen Wegzug nach Berlin: „Wir versuchen auch die Belange der improvisierten Musik zu vertreten und Leute, die jetzt nach Berlin ziehen, können aus der Ferne, was das angeht, nicht mehr so gut mitarbeiten.“

Suchen tue ich alte Klänge. Neue Klänge werden gefunden.

Gerade in Henkels Zusammenarbeit mit Jacob Wick „I saw a lightbulb flickering. I moved towards it and it was morning“ kristallisiert sich aber vielleicht am deutlichsten eine Klanglichkeit, die auch über kulturpolitische Zwecke hinaus die musikalische Vielfalt verbindet: Ohne eine einzige bestimmbare Tonhöhe erkunden die beiden Trompeter die Luftgeräusche ihres Instruments in flatternd bewegten Oberflächen, Schnalz- und Schließgeräuschen, deren Repetition die Grenze zum maschinellen weißen Rauschen verwischt. An dieser Grenze treten gepresste, höchste instabile Töne hinzu, unter denen die Oberfläche des Klangs brüchig wird. Durch äußerste Reduktion entstehen so intensive, intime Räume. Auch die neueste Veröffentlichung, Earis, vom Emiszatett der Cellistin Elisabeth Coudoux, bewegt sich an der Grenze zum Geräusch und verdichtet mikroskopische Details zu aufgewühlten Texturen. Klangliche Reduktion ist sicherlich ein impakt-Charakteristikum.

Die zufälligen Eigenschaften meines Instruments, dessen Oberflächen und materiellen Mängel.

Doch die langen sirenenartigen Heuler des Posaunisten Matthias Muche, Pegelia Golds irrisierende Stimme und die von Elisabeth Coudoux komponierte Struktur schaffen melodische und laute Gegenpole und geben auch diesem Album eine unvergleichbare Eigenständigkeit. Es ist diese nicht greifbare Kombination einer gemeinsamen Verschiedenheit, die die Mitglieder von impakt in einem schriftlichen Interview vor allem betonen: Im Kollektiv gäbe es „trotz aller Verschiedenheit ein Grundverständnis davon, was die anderen machen.“ Dem „Genau“, „Yes“ und „Absolut“ fügt auch Philip Zoubek hinzu: „Es gibt schon einen gemeinsamen Nenner, wenn man ein bisschen vom Material-Aspekt weggeht und die Haltung dahinter in Betracht zieht, wie man nämlich kommuniziert. Ich finde, da gibt es bei uns schon eine Gemeinsamkeit, unabhängig vom Material. Wie ist das interne Hör-Radar eingestellt? Das ist total schwierig zu definieren, aber es geht ein bisschen darum, wie eigentlich der Dialekt ist. Ich finde, da haben wir unser eigenes Ding.“

Der Raum, Energie und Tiefe eines Klangs

Ende Mai trifft impakt in einem gemeinsamen Konzert in Köln auf das Kollektiv gamut aus Zürich. Zwei Kollektive in der Stil-Freiheit der ungebundenen Improvisation – aktuelle Musik. Doch verpufft der gemeinsame Anfangsimpuls in Irritation, wartend ausgehaltenen Tönen und dem schüchternen Versuch eines Ornaments. Erschreckt verstecken sich die allzu klaren Töne der Akkordeonistin Tizia Zimmermann unter den körnigen Sounds der Bläser. Bei aller Aktualität und Offenheit tritt so gerade in Konfrontation mit einem anderen Kollektiv – mit seinem eigenen Label – hörbar zu Tage, wie schwierig improvisatorisches Verständnis und wie eigenständig der musikalische Dialekt des Kölner Kollektivs ist. Es ist eine unscharfe Treffsicherheit, die auch Philip Zoubek für die Musik von impakt anvisiert: „Wenn die Musik wirklich gut ist, kann sie eine ganz schöne Power und Intimität – beides zugleich eigentlich – erreichen.“

Aktuelle Musik ist Musik von Leuten, die nicht glauben, dass früher alles besser war.

Mit seinem Label kondensiert impakt das Kölsche Lokalkolorit und löst es im selben Atemzug in der Unvergleichbarkeit ihrer aktuellen Klänge wieder auf. Die Frage nach dem Kollektiv verschwindet so im Prozess, durch den es entsteht, und den die dreizehn Impaktler*innen gemeinsam verschieden umreißen: „Austausch und Support“ „Austausch auf allen Ebenen“ „Austausch und eine Möglichkeit mehr Leute zu erreichen mit dieser Musik“ „Schubkraft und das Gefühl mit ähnlichen Leuten an einem Strang zu ziehen“ „die einzige Möglichkeit sich beieinander zu halten und gegen diesen Egowahn anzukämpfen“ „Skepsis, Forschung, konstante Reflexion, Lust auf Neues, Spontanes und auf Improvisation“ „und die Liebe zur Improvisation, zum spontanen musikalischen Austausch“.

Karl Ludwig

* Die Einwürfe stammen aus einem schriftlichen Interview unter den Mitgliedern des Kollektivs. Das persönliche Interview mit Philip Zoubek und Stefan Schönegg fand am 10. Mai 2021 online statt. Herzlichen Dank ihnen beiden und dem impakt-Kollektiv.

Alle Fotos: imapkt e.V.

 

 

Artikel Gespräch

Erinnerungen an Volker Müller

Am 16. Februar 2021 starb Volker Müller. Der langjährige technische Leiter und Toningenieur des Studios für elektronische Musik des WDR war eine feste Größe und Schlüsselfigur in der Geschichte des Studios und der Entwicklung der elektronischen Musik in Köln, wie Rainer Nonnenmann in seinem Nachruf beleuchtet. Das Wirken Volker Müllers war dabei aber nicht nur einer älteren Generation von Begriff und Bedeutung. Zahlreiche Studierende und junge Komponist*innen haben in den vergangenen Jahren von seiner Expertise und seinem Erfahrungsschatz profitiert. Das zeigt vor allem die große Resonanz an persönlichen Erinnerungen und Danksagungen, die wir an dieser Stelle versammeln dürfen und die die Leerstelle offenbaren, die Volker Müller hinterlässt. Mit ihm stirbt ein Stück Zeitgeschichte.

 

Foto: Daniel Mennicken

 

Retter des WDR-Studios für elektronische Musik
Zum Tod des langjährigen technischen Leiters Volker Müller

von Rainer Nonnenmann

Die Musikhistoriographie hat bloß ein Dutzend sattsam bekannter Komponisten als Heroen der elektronischen Musik verewigt. Meist unterschlagen werden dagegen neben einigen Komponistinnen auch die Techniker, die nach 1945 mit viel Erfindergeist und Experimentierfreude halfen, die damals verfügbare Aufnahme-, Mess- und Sendetechnik des Reproduktionsmediums Rundfunk zu einem neuen Produktionsinstrument umzufunktionieren. Das Studio für elektronische Musik des (N)WDR trat 1953 mit ersten rein elektronisch generierten Stücken in Radio und Konzert an die Öffentlichkeit. Viele Zeitgenossen reagierten entsetzt und verteufelten die Elaborate aus der Hexenküche als „seelenlose Technik“, „Atomspaltung“, „Tod der Musik“. Andere dagegen waren vom revolutionären Neuansatz fasziniert.

Binnen weniger Jahre entwickelte sich das Kölner Studio zu einem internationalen Magneten. Musikschaffende aus der halben Welt konnten hier neue Struktur- und Klangvorstellungen realisieren, und zwar mit Hilfe von Ingenieuren, die sich bestens mit den Funktionsweisen und Kombinationsmöglichkeiten von Sinus-, Impuls-, Sägezahn- und Rauschgeneratoren, Filtern, Bandmaschinen und Hallplatten auskannten. Nach der „heroischen“ Gründerphase unter den künstlerischen Leitern Herbert Eimert und Karlheinz Stockhausen wurde 1971 Volker Müller als 1. Programm-Ingenieur angestellt. Bis zur Schließung des WDR-Studios Ende 2000 war er dreißig Jahre lang an Produktionen namhafter Komponisten beteiligt, allen voran Stockhausen. Nach „Sirius“ von 1976 realisierte er auch die Elektronik von dessen Opern „Montag“, „Freitag“ und „Mittwoch“. Rechte Hand war er auch für York Höller, der die künstlerische Leitung des Studios 1990 übernahm und hier die Elektronik zu seinen großen Orchesterwerken „Schwarze Halbinseln“ und „Pensées“ produzierte. Ferner zu nennen sind Henri Pousseur, Luc Ferrari, Peter Eötvös, John McGuire, Jonathan Harvey, als einzige Komponistinnen Youngi Pagh-Paan und Unsuk Chin, sowie Ende der 1990er Jahre Marco Stroppa, Paulo Chagas und Kilian Schwoon. Welchen mitschöpferischen Anteil der Ingenieur bei der Entstehung all dieser Kompositionen hatte, ist kaum zu ermessen, auch wenn er sich selbst immer professionell und bescheiden als Techniker bezeichnete.

Nachdem das Studio bereits innerhalb des Funkhauses zweimal hatte umziehen müssen, wurde es 1986 in die Annostraße in der Kölner Südstadt verlegt. Schließlich mussten die vielen hunderte Geräte erneut abgebaut werden, als der WDR den Betrieb einstellte. Dem Einsatz von Volker Müller ist es zu verdanken, dass das über fünf Jahrzehnte gewachsene und weithin einzigartige Ensemble an Audiotechnik damals nicht verkauft oder verschrottet, sondern in einem Kellerraum in Köln-Ossendorf wieder funktionsfähig aufgebaut und wenigstens zur Digitalisierung analoger Tonbänder genutzt wurde. Noch nach seiner Pensionierung 2007 wartete Müller als freier Mitarbeiter den Geräteparcours. Bis zuletzt dokumentierte er Schaltpläne, um das Studio dereinst wieder aktiver Nutzung zuführen zu können. Noch jüngst war er bei einer Präsentation des Studios auf Google Arts & Culture beteiligt, die dort demnächst zu sehen sein wird. Wenige Wochen vor seinem 79. Geburtstag ist Volker Müller nun am 16. Februar gestorben.

Gerne und ausgiebig zeigte er das erstrangige Kulturgut internationalen Fachbesuchern aus Komposition, Musikwissenschaft, Noise, Techno, Electronica, Krautrock und ganzen Hochschulseminaren. Alle wurden freundlich mit Kaffee und süßen Teilchen empfangen und von Müllers Begeisterung angesteckt. Wie sehr der rüstige Rentner mit der analogen Tonbandtechnik verwachsen war, sah man an seiner Geschicklichkeit beim Einlegen, Schneiden, Kleben und Führen von Bändern über Maschinen, Teller, Tonköpfe, Schleifen. Gerne demonstrierte er, wie sich auf hundertstel Sekunden genau neue Klänge aus zufälligen Radioschnipseln generieren lassen, einfach durch Oktavieren, Loopen, Überlagern, Filtern, Verlangsamen, Beschleunigen, Rückwärtslauf etc. Im Internet ist er auf vielen Videos zu sehen, wie er lebhaft Auskunft gibt über Geräte, Synthesizer, Mischpulte, Sampler, Vocoder sowie digitale Prototypen der 1980er und 90er Jahre.

Pläne zu einer Revitalisierung des Studios scheitern jedoch seit zwanzig Jahren. Zuletzt gab es Optionen für das Haus Mödrath bei Kerpen und jüngst in Köln-Raderthal im denkmalgeschützten ehemaligen Sendegebäude der Westdeutschen Rundfunk AG von 1927, das der Stadt Köln gehört, deren Liegenschaftsamt jedoch das Nutzungsrecht für eine Beherbergung des Studios nicht ändern wollte. Ziel ist kein totes Museum, sondern ein lebendiger Betrieb mit Künstlerresidenzen, Produktionen, Aufführungen, Workshops, Forschungs- und Vermittlungsprojekten. Angesichts global standardisierter Software interessieren sich tatsächlich immer mehr Musikschaffende wieder für die alten Technologien. Aktuell erarbeiten Stadt Köln, WDR und Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW einen Träger-, Funktions- und Wirtschaftsplan zur aktiven Nutzung des Studios im Rahmen der baulichen Erweiterungen des Zentrums für Alte Musik auf dem Helios-Gelände in Köln-Ehrenfeld. Die irgendwann vielleicht doch noch kommende Renaissance des Studios wird Volker Müller nicht mehr erleben.

 

Foto: Daniel Mennicken

 

Erinnerungen von Weggefährt*innen


 

“Volker Müller hat bis zu seinem Tod das eingelagerte Studio für Elektronische Musik betreut, war mit allen Details vertraut, hat sein Wissen gerne geteilt.

Sein Wissen wird fehlen für den Erhalt des Studio für Elektronische Musik des WDR. – Es bleiben viele Geschichten in Erinnerung über die stundenlangen Besuche bei Volker Müller in den Räumen des eingelagerten Studio für Elektronische Musik, bei Wein, Snacks und Pizza… bleibt zu Wünschen, dass das Studio für Elektronische Musik des WDR bald wieder installiert und genutzt werden kann – von internationalen Gästen, StipendiatInnen, es ein lebendiger Arbeits- und Begegnungsort wird – neue Produktionen im wieder aufgebauten Studio auf Tonträgern dokumentiert und veröffentlicht werden – wie in einer Kölner Tonträgerreihe mit Produktionen von internationalen NutzerInnen – die das Erbe in die Welt hinaustragen.”

Georg Dietzler
Freier Kurator, Künstler, Vorstand der Initiative Freie Musik e.V.


 

“Erinnert man sich an das Studio für elektronische Musik des WDR Köln, fallen einem zuerst Namen wie Herbert Eimert oder Karlheinz Stockhausen ein; befasst man sich näher, können einem vielleicht Heinz Schütz oder Michael von Biel in den Sinn kommen.
Leider taucht Volker Müller dabei nicht auf. Dennoch wäre der Aufbau und Betrieb ohne ihn nicht möglich gewesen, da seine Tätigkeit weit über die Standardtätigkeit eines Toningenieurs hinausging. Nicht nur als profunder Kenner des technischen Equipments der elektronischen Musik, sondern auch bei der Entwicklung eigener Geräte, sowie als ideengebender Assistent der Komponisten leistete er einen unverzichtbaren Beistand.
Somit ist auch Volker Müller nicht aus der Geschichte dieses Studios wegzudenken.”

Joachim Zoepf
Musiker


 

“Das Studio für Elektronische Musik des WDR Köln bestand 50 Jahre, 30 Jahre davon geprägt durch Volker Müller (ab 1971). Nach Beendigung der aktiven Nutzung (2001) wurde Volker Müller vom WDR beauftragt, alle Produktionen, die in diesen 50 Jahren entstanden waren, zu digitalisieren. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wurden die ”historischen” Geräte wie Tonbandmaschinen und Lautsprecher usw. von Volker Müller funktionsfähig gehalten, sodass eine ”schöne” Kontinuität des alten Betriebes gewahrt blieb: im ”Keller” lebte das Erbe weiter, auch nach der Pensionierung von Volker Müller 2007, und die eingeweihte Öffentlichkeit konnte daran teilnehmen, Volker Müllers Führungen waren beliebt, witzig, anekdotengefüllt, professionell, lehrreich. Das und der geheimnisvolle Äther alter Analogstudios ist nicht mehr, ist verstummt.

Volker Müller nannte man ”Ingenieur”; die bessere Bezeichnung wäre ”Tonmeister”, denn es ist jener, der für die Produktion in technischer und künstlerischer  Hinsicht verantwortlich ist. Volker Müller hat mindestens 51 Produktionen der Elektroakustischen Musik (EM) verantwortet – welch eine Leistung! Er war nicht nur für die ”Werkproduktionen” verantwortlich sondern organisierte den ganzen Studiobetrieb, Neuanschaffungen, das technologische Fortschreiten; damit verband er sich persönlich tief mit Maschinen, Räumen, Produktions- und Aufführungsprozessen, so tief, dass man sagen kann: er ”diente” den Prozessen. Das Attribut ”Dienen” (einer Sache dienen) ist kaum mehr anzutreffen, zumal es durch die Zeitverträge im öffentlichen Dienst weitgehend verhindert wird.

Ich begegnete Volker erstmals 1982 im Zusammenhang mit der Aufführung der  WDR-Produktion ”Die Legende von ER” von Iannis Xenakis in unserem Festival Inventionen, er war natürlich verantwortlich und Ansprechpartner. Und ich traf ihn, die graue Eminenz der EM, immer wieder auf den Tonmeistertagungen, und vor 10 Jahren bei der Präsentation des Films ”Ton Band Maschine” (Regie Michael Beil und Elmar Fasshauer), wo er natürlich das WDR-Studio vertrat. Man fühlt in den liebevollen Kommentaren seine tiefe Verwurzelung mit dem Analogzeitalter, vertreten durch Tonbänder, Tonbandmaschinen, Geräte der Messtechnik usw. Er bemerkt strahlend: ”Sie können schon mit einem Tonbandgerät alleine und einem Mini-Mischpult unglaublich tolle Klänge machen, ohne eine Quelle zu haben” – und er macht es vor, nach dem Motto: ”es gab Anforderungen, und man musste eine (fantasievolle) Lösung finden”, auch mit dem Hinweis auf unausweichliche ”singuläre Sprachinseln” in der Kommunikation zwischen Komponist und Tonmeister – einem Team, das es so nicht mehr gibt!”

Folkmar Hein
langjähriger Leiter des Elektronischen Studios der TU Berlin


 

“Danke, lieber Volker Müller! Für die ausführlichen Telefonate, weil ein kurzer Plausch war mit Ihnen kaum zu haben. Diese waren Ausdruck Ihrer Wertschätzung gegenüber Anderen und der Sache selbst. Sie wussten auf den Tag genau, wann man bei Ihnen im Studio war oder zuletzt mit Ihnen gesprochen hatte. Sie schauten in Ihre sorgfältig geführte Liste, die als Beleg Ihres verbindlichen Charakters unfehlbar war: Auf das Müller-Backup war Verlass, kein Name wurde vergessen, jedes Treffen erinnert. Vor einigen Monaten sprachen wir darüber, wie unterschiedlich in Europa mit solchen Studios und Laboren als “state property” umgegangen wurde, wie man Kunstschaffenden, Studierenden und Interessierten den Zugang ermöglichen kann. Auch um den zeitgemäßen Umgang mit Klangarchiven ging es und Ihre persönliche Verwunderung darüber, wieso junge Leute noch verrückt danach waren. Sie inmitten der Maschinen in Ossendorf besuchen, fragen und filmen wollten. Vom letzteren, dem reinen Vorführen der Geräte waren Sie etwas müde geworden, wollten lieber Gespräche ohne Kamera führen und überhaupt: Gab es nicht schon genug gleiches Filmmaterial mit demselben Gesicht und denselben Händen, die aber nicht mehr so sicher zugreifen konnten? Solche Umstände wurden Ihnen langsam unangenehm, auf Dauer unterforderte es auch. Seit einer Weile waren überraschende Begegnungen und Diskurse jenseits des Kabelvorhangs selten geworden, der Kräuterteeschaden in der einen Bandmaschine gehörte wiederum zu den vielen Bonmots Ihrer reichhaltigen Erzählungen. Oft waren Ihre Führungen schon ausgebucht und Sie fragten erstaunt nach, wenn jemand aus Los Angeles oder Brüssel vorbeikommen wollte. Eine internationale Öffnung in dieser Hinsicht, das wäre ein guter Neuanfang gewesen. So verblieben wir auf ein nächstes Mal, gingen per Telefon wieder den Weg vom Hölzchen aufs Stöckchen zurück zu Werner Meyer-Eppler und zum Prozess des Erfindens, zu Familien von Schallaussendungen, spekulierten darüber wie wertvoll die künstlerische Freiheit des Quereinstiegs sein könnte und was es heute bedeutet, Neuland zu betreten. Dein erstes waren wohl die Experimente an der elektrischen Registertraktur in der Stiftskirche, in die du nachts mit dem viel zu großen Schlüssel reingeschlichen bist. Du siehst, ich duze dich jetzt, ungefragt. So schaffe ich eine Nähe, denn sehr gerne hätte ich dir noch einmal die Hand gereicht. Danke für die Inspiration, dass wir uns begegnet sind, auch im Namen vieler Studierender. Für den ausgiebigen Blick in die Partituren, den Glissandi in Perlenformation auf Mehrkanal, deinen ganz besonderen Wortschatz.”

Waltraud Blischke
Institut Für Musik Und Medien der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf


 

“Man könnte meinen, Volker Müller gehörte zu den Menschen, die viel über Ampere und Volt, Dezibel und Hertz wissen und wie dieses Wissen am besten den KomponistInnen zu vermitteln ist. Aber die Grenzen und Rätsel der Technologie des variablen Stroms waren für Volker Müller nur der Weg, der menschlichen Seele Ausdruck zu verleihen. Wir trauern um Volker Müller: der Mensch, der Ingenieur, der Musiker, der Schützer von Geheimnissen und Rätseln der elektronischen Musik.”

Luís Antunes Pena
Komponist


 

“im vorwort zum stockhausen band der musik-konzepte fragt heinz-klaus metzger, ob es nicht analog zur jüdischen legende von den 36 verborgenen gerechten auf deren wirken der (fort)bestand der welt beruht, vergleichbares in der musik gäbe. keine frage, volker war einer davon: mit wärme, leidenschaft, kauzigem humor und einem immensem wissen, das er unfassbar grosszügig teilte, hat er vielen komponisten ermöglicht, dass ihren ideen gerechtigkeit wiederfahren konnte, ohne ansehen von bekanntheit oder alter. wer wird jetzt seinen platz einnehmen (können)? mit wem kann man sich jetzt eine nacht im keller in ossendorf um die ohren hauen?”

hans w koch
Komponist, Klangkünstler, Professor für Sound an der Kunsthochschule für Medien Köln


 

“Ich habe Herrn Müller erstmals im Herbst 2009 kennengelernt im Rahmen eines  Musikwissenschaftsseminar an der Kölner Musikhochschule. Gemeinsam besichtigten wir die Räumlichkeiten des ehemaligen elektronischen Studios des WDR. Seine begeisterten Erklärungen zu Stockhausens „Kontakte“, speziell zu seiner Lieblingsstelle bei Minute 17, sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben, ebenso seine en passant gegebenen Ausführungen zu Ferruccio Busonis Schriften zu einer neuen Ästhetik der Tonkunst, die ich schließlich sechs Jahre später mit Begeisterung las und auf die ich bis heute regelmäßig zurückkomme.

2010/11 entstand mit dem elektronischen Studio der HfMT ein Dokumentarfilm unter anderem über das WDRStudio, in dessen Nachgang Volker Müller einwilligte, mit einigen Kompositionsstudierenden elektronische Stücke auf den alten Geräten zu komponieren. Ich sagte begeistert zu, da ich als Grünschnabel mir die Chance nicht entgehen lassen wollte, mein erstes Elektronikstück in diesen heiligen Hallen und mit diesem technischen Bei- und Sachverstand zu realisieren und so einen Hauch Musikgeschichte auch in meine eigene musikalische Biographie einfließen zu lassen; und so entstand im April 2011, in mehreren gemeinsamen Arbeitssessions, mein Stück récital pour une femme seule, mit Tonbandgeräten, Ringmodulatoren, dem abstimmbaren Anzeigeverstärker und einem analogen Bandpassfilter. Diese Erfahrung, nicht nur menschlich bereichernd, beeinflusst bei näherer Betrachtung bis heute meinen Zugang zur Elektronik als Medium; zugleich nahm ich bei der Gelegenheit Volker Müller immer als jemanden wahr, dem man bis ins Alter seine Freude an der Tätigkeit ansah, oder besser gesagt noch: dem man ansah, dass er sein ganzes Leben lang etwas gemacht hatte, das ihm wirklich am Herzen gelegen und Spaß gemacht hatte. Dieses Bild bleibt für mich ein wichtiger Gradmesser in der Frage auch nach meinem eigenen Verhältnis zu meiner Arbeit.

Danach sah ich Herrn Müller in unregelmäßigen Abständen hauptsächlich bei und nach verschiedensten Konzerten; diese Treffen arteten meistens aus, nach einigen Reminiszenzen gemeinsamer Erinnerungen wurde anstandslos zu einem Drink übergegangen, was immer erst weit nach Mitternacht, manchmal erst im Morgengrauen endete. Einmal, nach einer gemeinsam derart durchzechten Nacht, es muss beim Acht Brücken-Festival 2013 gewesen sein, landeten wir auf seine Initiative hin auf dem Bahnsteig des Kölner Hauptbahnhofs und beobachteten um 6 Uhr morgens bei einem von ihm gesponserten Sandwich kontemplativ die einfahrenden Züge. Einmal, im Oktober 2015, kam er mit ins Sixpack auf der Aachener Straße.

Allen diesen Abenden war gemein, dass man als junge*r Komponist*in in seiner Gegenwart nicht seine eigenen Getränke zu zahlen brauchte, geradezu nicht durfte; einzige Bedingung: „Tun Sie mir nur den Gefallen, wenn Sie eines Tages in meinem Alter sind, spendieren Sie auch der jüngeren Generation ihr Kölsch.“ Es hier niederzuschreiben, verpflichtet mich nun offiziell, es ihm irgendwann gleichzutun.

Dass ich zugleich über ihn als Menschen ungemein wenig erfuhr, fällt erst im Rückblick auf; trotz aller Ausschweifungen wahrte Herr Müller immer eine respektvolle Distanz, indem er uns Jungspunde von Anfang bis Ende siezte und nichts frug oder preisgab, was er selbst wahrscheinlich nicht gern gefragt worden wäre und zu hören bekommen hätte. Dieser Respekt ging völlig folgerichtig in der Situation auf und führte in der Summe vermutlich dazu, dass trotzdem jenes schwer definierbare Gefühl von Vertrautheit entstand, das einen vergessen ließ, wie wenig man doch über ihn als Person wusste.

Zuletzt sprach ich mit Volker Müller vor etwa zwei Jahren, als ich ihn für eine technische Frage anrief: Ich wollte mein Stück sweep over me them dusty bristles überarbeiten und suchte nach einer Art und Weise, Tonbandgerät und Computer miteinander zu verbinden und irgendwie einander gegenseitig zu steuern. Er schüttelte einige spontane Ideen aus dem Ärmel, von denen wir uns schließlich auch für eine entschieden und die so die grundsätzliche Funktionsweise des gesamten elektronischen Setups definierte. Es funktionierte tadellos, und so wäre das Stück ohne dieses vergleichsweise kurze Telefonat in der Form nicht möglich gewesen.

Leider war er nicht erreichbar, als ich ihn zur Uraufführung des Stückes im vergangenen Oktober 2020 einladen wollte, was ich sehr bedauerte, da ich sicher war, dass er sehr neugierig gewesen wäre, wie wir seine Idee umgesetzt hatten, und mich überdies für seinen wertvollen Input hatte bedanken wollen.

So, wie ich Volker Müller kennengelernt habe, bin ich sicher, dass er auf seine sehr persönliche und begeisternde Weise viele Komponist*innen mehrerer Generationen geprägt und zur Entstehung ihrer Musik entscheidend beigetragen hat, und das nicht nur technisch, sondern mit seiner Begeisterung und Großzügigkeit auch menschlich und künstlerisch. Für mich war es gewiss der Fall. All dies wird Köln fehlen und so kann ich nur hoffen, dass sein Wissen und seine Erfahrung erhalten bleiben können und sein Wesen denen, die ihn kannten oder ihm nahestanden, in warmherziger Erinnerung. Seinen Angehörigen möchte ich mein herzlichstes Beileid aussprechen. Und so werde ich in 40 Jahren bei einer spontanen Kneipentour bestimmt an ihn denken, wenn ich dann vielleicht sage: ’50 Euro habe ich noch, wenn das nicht reicht…, muss ich zur Sparkasse.'”

Matthias Krüger
Komponist


 

“Es ist dieses Bild von Volker Müller in meinem Kopf, das mir am stärksten in Erinnerung bleibt: Ein gut gekleideter älterer Herr, der mit verschmitztem Lächeln und fast kindlicher Vorfreude uns, den Studenten der Musikhochschule, das Instrument Vocoder präsentiert: Wie ein Zauberer, der weiß, wie eine gute Inszenierung funktioniert, hält er einen Moment lang inne… und da kommt sie schon, die berühmte Vocoder-Nummer: Ein exzellent vorgetragener, durch den Vocoder verfremdeter Begrüßungstext, performt durch den technischen Leiter persönlich.
Herzlichkeit, Großzügigkeit, aufrichtige Neugier auf die Arbeit der Jüngeren, aber auch enormes auf Erfahrung begründetes Wissen, das auf eine angenehme, von jeder Spur des „autoritären“ befreite Art weitergegeben wird, sind nur wenige Seiten der Persönlichkeit Volker Müllers. Charaktereigenschaften eines Menschenschlages, der zu verschwinden scheint.”

Oxana Omelchuk
Komponistin


 

“Durch einen glücklichen Umstand konnte ich Volker Müller noch kurz vor der Beendigung des Studiobetriebs in der Annostraße im Jahr 2000 vor Ort (und damit natürlich auch den Ort selbst) kennenlernen. Seither habe ich ihn als den unermüdlichen Bewahrer der bis dahin im WDR-Studio für Elektronische Musik versammelten Ideen, Musiken und natürlich auch Geräte erlebt, als der er sich in den letzten 20 Jahren große Verdienste erwarb. Sein Verlust wiegt schwer. Er konnte Zeugnis geben über die entscheidenden Begegnungen von Musik und Technologie in einem historischen Moment, als es möglich war, mit diesen beiden in ihrer Verbindung konsequent kreativ umzugehen. Es ist ein Privileg, ihm begegnet sein zu können und von seinen Kenntnissen und Einsichten, aber nicht zuletzt auch von seiner Herzlichkeit und seiner wunderbaren Gastfreundschaft profitiert haben zu dürfen.

Es hat mich ein ums andere Mal erstaunt, wie es ihm gelang, seine eigene beseelte und dabei doch völlig unaufdringliche Begeisterung für die Elektronische Musik in der Begegnung auf andere Menschen zu übertragen – seien sie nun Experten oder Neulinge auf dem Gebiet. Ein Besuch bei ihm hat keinen Besucher und keine Besucherin, da bin ich mir vollkommen sicher, unberührt gelassen und ist mit Sicherheit tief in den Gedächtnissen verblieben.”

Danke, Volker Müller!

Florian Zwissler
Komponist, Musiker


 

“Zu Volker Müller hat sich bei mir das leicht romantisierende Bild eines weitgereisten Veteranen legendärer Unternehmungen entwickelt – jemand, der in Personalunion den Steuermann, den 1. Offizier, den Maschinisten und Funker wie ebenso den Kapitän oder bisweilen auch nur die Bordwache eines großen Schiffes verkörperte. Persönlich habe ich ihn erst kennengelernt, als dieses Schiff schon auf unbestimmte Zeit ins Trockendock verbannt war.

Aber wer je die Gelegenheit hatte ihn dort »an Bord« zu besuchen, weiß mit welchem Elan und Enthusiasmus er sein technisches Wissen weitergab und auch an überraschenden Anekdoten aus der Studioarbeit oder von Konzertreisen nicht sparte. Es kann ihm gar nicht genug gedankt werden, dass er es 1999/2000 geschafft hat, das Studio für Elektronische Musik des WDR vor der Auflösung in diesen Kellerlagerraum in Köln-Ossendorf zu retten! Und es fällt sehr schwer zu realisieren, dass er nun nicht mehr länger präsent sein wird – seine Stimme und Perspektive werden fehlen!”

Dirk Specht
Klangkünstler, Komponist, Kurator


 

Lieber Volker Müller,
jetzt werden wir wohl nie mehr erfahren ob der Sequenzer funktioniert.
Unsere gemeinsame Session wird mir aber immer in Erinnerung bleiben, gerade auch weil dafür die gepflegte Grundeinstellung am Synthesizer geopfert wurde.

Willi Sauter
Klangbaukoeln


 

Ich bin Volker Müller nur zwei Mal kurz begegnet. Der Gedanke an eine Begegnung – in aufgekratzt-euphorischer Stimmung in einem Bus-Shuttle nach einer Stockhausen-Aufführung – lässt mich verstehen, wie sehr Volker Müller die Verkörperung des Credos von der Kunst als Arbeit in seiner Person vereinbart hat. Das lockere Gespräch im Plauderton zum Elektronischen Studio des WDR schlägt um in soldatische Strenge, als es um die Details der Realisation eines bestimmten Werkes geht. Es geht Volker Müller nicht um Belehrung sondern um Genauigkeit, um Präzision und echtes Verständis einer besonderen Kunstform. In der Erinnerung an Volker Müller wird mir nun auch klar, dass sich damit vor allem seine Liebe zur Elektronischen Musik ausdrückte.

Till Kniola
aufabwegen


 

Wir danken allen Beitragenden für diese berührende Resonanz an Danksagungen und Erinnerungen, insbesondere Rainer Nonnenmann für das Bereitstellen seines Artikels sowie hans w. koch für seine Initiative und drücken allen Angehörigen und Freunden unsere Anteilnahme aus.

 

Foto: Daniel Mennicken

Allgemein Artikel Kommentar

Mehdi Hosseini @ reMusik.org

“Let me draw your attention to the fact that many venues and platforms, new art spaces have been opened in recent years in Russia, especially in Moscow and St. Petersburg, where concerts of contemporary music take place, contributing to increased interest of the public.“

Mehdi Hosseini takes us into the contemporary music scene of St. Petersburg and Russia, which despite a growing interest of the public, often stands in the shadow of classical music.

Allgemein Artikel Gespräch

Jeff Henderson @ Audio Foundation

The Audio Foundation began in Zoe’s bedroom with a computer and a phone and grew from there. From online texts, chat rooms, noticeboards, gig guides to small events and concerts, to a venue, exhibitions, symposiums etc. The river brings and sustains life as it winds to the sea.

Jeff Henderson, director of the Audio Foundation, gives us insight into a tight-knit community of experimental music “on the way to antarctica” – and beyond…

Allgemein Artikel Gespräch

Nataša Serec @ KUD Mreža

„On 9 September 1993 the city council replied with an unannounced, illegal and hurried attempt to demolish all Metelkova buildings with machines and wrecking balls. Ha! Exactly the opposite of what they promised! As a response to this quite unethical act, approximately 150 self-organised individuals occupied the Northern section of the Metelkova barracks.”

Amongst the group of people fighting to save what is now a famous and lively hub for creatives of all kinds in the centre of Ljubljana was also Nataša Serec. She would later found KUD Mreža, a network for experimental music at the Metelkova site. In our interview she tells us how the network came into being, about their concert series FriForma or the International Feminist and Queer Festival Red Dawns, and the changes over the years – and last months… 

Allgemein Artikel Gespräch

Rodrigo Sigal @ CMMAS Morelia

We put a lot of focus on artistic exchange all over the world and it is certainly one of the reasons why I started CMMAS 15 years ago. Composers, performers, musicologists, creative people come to work here for a few months or a few weeks, then they also teach, do performances and community work around the centre. These interactions help our own students a lot, too.

Rodrigo Sigal introduces us to the Centro Mexicano para la Música y las Artes Sonoras CMMAS, a network for contemporary music in Morelia, Mexico. With concerts, festivals, courses, residencies and much more it takes a large part in the vibrant musical scene of Morelia. In the interview he speaks about the different programmes, technological development and the lacking support by the Mexican government.

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