Eine Linie aus flackernden Kerzen schlängelt sich zwischen den noch unbesetzten Stühlen, gelbe Lichter auf gelbem Grund. Mit Konzertbeginn werden es fünf zu fünf sein, die einander auf beiden Seiten des Lichts gegenübersitzen: vier Musiker und ein Verstärker zum fünfköpfigen Publikum. Noch aber sitzt niemand da, als die Akteure bereits namentlich vorgestellt werden, und in die gespannte Erwartung mischt sich Heiterkeit.

Foto: Anna Schneider
Gabbro nennen sich die Vier, die wenig später die Plätze füllen, und die Platte, die sie vorstellen, Granular. Körner als Kerne dieses Abends also. Und so entsteht langsam eine Szenerie, die mehr und mehr von sich erzählen wird: Die Sängerin Agnes Hvizdalek setzt ein erstes Korn in den Raum der Gemeinde Köln, einer kleinen, halb offenen Schachtel, in der sich leicht zurückziehen ließe. Aber Hvizdalek lässt den Ton wachsen, bis er vertikal im länglichen Raum steht und mit dem Einstieg der anderen Instrumentalisten – Baritonsaxophon, Posaune, E-Bass – baut sich allmählich ein Getriebe in ständiger Ergänzung selbst auf. In beeindruckend fluiden Übergängen vom Nichts zum Etwas entwirft das Ensemble eine Konstruktion, die langsam immer mehr Innenstrukturen frei gibt und dabei mehreres nebeneinander laufen lässt, was sich mal auch nicht berührt. Diese Langsamkeit, geprägt von aufstoßenden Dissonanzen, die sich gegenseitig ins Rollen bringen, und ein allgemeines Anfahren der Klänge sind wie ein gelebter chemischer Prozess, Rost, der sich auf Metall legt. Man vergewissert sich einer immer wiederkehrenden Klanglichkeit des entstehenden Materials. Und unüberschaubar weitsichtig formt sich das Gestein Gabbro aus großen und kleinen Körnern, während der Gesamtklang zirkulär weitergeht.
Mit allerlei Zusatzgeräten zur Hand werden jedem Instrument mehrere Körper eingeschrieben und was dem zusehenden Auge ein Zuviel an Wissen gibt, wird zum Appell an das reine Ohr: Höre, was ich sein kann! Wenn Raphael Malfliets Bass ohnehin von Beginn an gestrichen und bald darauf der Posaune ähnlich wird und der Posaunist Henrik Munkeby Nørstebø seinen Innenraum abdämpft und wieder öffnet, um mit Distanz zu spielen – wenn Hanne De Backer sämtliche Atemrichtungen durch ihren Bariton schickt und im Klipsen und Ticken die meisterliche Stimmkunst Agnes Hvizdaleks nach- oder vorahmt, welche ihrerseits Kühlheit und plättchenhafte Präzision mit Tierlauten und Hallig-Mystischem verbindet – dann spürt man vor allem einen großen Organismus. Wer die Augen offen hält, kann diesen Akt der instrumentalen Auflösung verfolgen, wer nicht, begegnet der Dramaturgie plötzlich sehr klar.
So entsteht bald eine große Form, die sogar so etwas wie Solisten hervorbringt: De Backer und Malfliet treten dann in jazziger Manier auf und das Granulat ihres Spiels materialisiert sich aus dem zuvor gleitenden Wechselspiel. Der Puls steigt und verlässt das Unmerkliche, immer pochender verstärkt De Backer den gesamten Ensemblesound, indem sie intensive, kurze Beats stößt und die anderen aus ihrer Flächigkeit drängt. Die Musiker werden als Einzelne im gemeinsamen Ausatmen vollends gestaltlos, der Klangweg dahin ist wie ein Blick durchs Mikroskop.
Hier wird kein Punkt gesetzt. „Just go on!“, ruft es da aus der Zuhörerschaft und der Moment der Unentschlossenheit hält das Ensemble davon ab, so zu verbleiben und letztlich zu gehen, im Dienste der eigenen Dramaturgie. Sie greifen wieder zu ihren Instrumenten, setzen mit den Gesten an, die schon den ersten Part eröffneten. Aber Gabbro ist schon geformt und Gabbro aufgelöst. Die jetzt beginnende Suche erschöpft sich weitgehend in Techniken, die im ersten Set schon ihren Rundumschliff erhalten haben und indem die Musiker auch gestische Abfolgen in hohem Maße einfach wiederholen, wird dieses erste Set nicht zum Bezugspunkt, sondern eher zum Gegenstand einer Art ungewollter Fälschung. Auch, wenn über das Effektgerät des E-Basses mit der Zeit metrische Klick-Verschiebungen eingefädelt werden und so synkopische Züge entstehen, die die klanglichen Innenstrukturen im Kleinen nochmal anders führen – es ist weder Zugabe noch eigenständiger Teil. Und dennoch mag man nicht verwerfen, was jetzt geschieht – zu lebendig sind das reine Performen des Ensembles und der Wille, weiterzusuchen, was noch sein könnte! Auf der Bühne hinter der Lichterkette, die doch eigentlich eher die Ebene gleichmäßig teilt, gehen Gabbro immer weiter zurück in die gestalthafte Welt auf der anderen Seite des Lichts.
Anna Schneider