Im Gespräch berichtet das Schlagquartett Köln über seine Arbeit, den von der kgnm veranstalteten Workshop und das anstehende Abschlusskonzert.

Seit 1989 erforscht das Schlagquartett Köln die unbegrenzten Möglichkeiten des Schlagwerks. Thomas Meixner, Boris Müller, Dirk Rothbrust und Achim Seyler entwickeln dabei nicht nur stetig neue Instrumente und Klanghorizonte, sondern erarbeiten oft in enger Zusammenarbeit mit Komponist*innen neue Werke. So entstand für diese ungewöhnliche Besetzung über Jahrzehnte hinweg ein reiches Repertoire, das eng mit dem Schlagquartett Köln verbunden ist. Um dieses Wissen auch an eine junge Generation von Musiker*innen weiterzugeben, hat die kgnm, organisiert von Rie Watanabe, im August 2020 einen Workshop mit dem Schlagquartett und sieben jungen Teilnehmer*innen durchgeführt.

(c) Rie Watanabe

Neue Traditionen Vol.1 Weaving the Future

12. – 15. Januar 2021
Abschlusskonzert des Workshops mit dem Schlagquartett Köln

Informationen zum Konzert unter www.kgnm.de

Eine Veranstaltung der kgnm e.V. durch Förderung von der Stadt Köln und der Kunststiftung NRW

 

Ich treffe Boris Müller, Dirk Rothbrust und Achim Seyler vom Schlagquartett Köln sowie Rie Watanabe, kgnm-Vorstandsmitglied und Organisatorin des Workshops, im November online, doch schon in dieser Konstellation ist die Eingespieltheit der Musiker zu spüren. Zwischen Stichelei und Zuvorkommenheit entwickelt sich ein Gespräch, das immer über Allgemeinplätze hinaus die Detailverliebtheit des Schlagquartetts vor Augen führt.

(c) Klaus Rudolph

KL: Als Schlagzeuger habt ihr ja ein so großes Instrumentarium und wirklich ungeheuer viele Spieltechniken – würdet ihr sagen, dass ihr mehr übt als andere Musiker*innen?

[Allgemeine fröhliche Zustimmung]

DR: Also Boris übt auf jeden Fall mehr…

[Lachen]

AS: Das hängt sehr vom Stück ab. Es gibt ja Stücke, für die der Komponist sich spezielle Klänge ausdenkt und wo das Instrumentarium erst für das Stück entsteht. Das kann manchmal sehr aufwendig sein: Es gibt eine Vorstellung, in welche Richtung es gehen soll, und dann fängt man an zu suchen, zu probieren, verwirft vielleicht auch manchmal, baut um … Das kann aber auch sehr schnell gehen, wenn etwas schon ausprobiert ist und das einfach ins Repertoire gehört.

DR: Ja, genau! Aber grundsätzlich ist es schon so, dass man fast bei jedem Stück quasi ein neues Instrument lernt. Man muss sich immer auf eine neue Technik, ein neues Instrumentarium oder eine neue Zusammenstellung einlassen und das erstmal lernen. Das haben vielleicht andere Instrumente nicht so stark.

AS: Das ist aber vielleicht auch typisch für das Schlagquartett typisch. Wir haben relativ viele Stücke im Repertoire, die anfänglich sehr untypisch für das Schlagzeug waren und die eigentlich erst für uns entstanden sind. Aber gerade geht es uns ja: Mitentwickeln, Austüfteln und eben auch Klänge Einbeziehen, die vielleicht nicht so schlagzeugtypisch sind.

KL: Habt ihr da einen Fundus an Instrumenten, aus dem ihr euch bedienen könnt oder macht ihr euch jedes Mal auf die Suche nach den perfekten Klangkörpern?

DR: Wir haben Stücke von Boris gespielt da möchte ich nicht wissen, wieviel Arbeit er im Vorfeld geleistet hat. Er hat nämlich das komplette Instrumentarium selbst entwickelt und selbst gebaut und zu den Proben mitgebracht. Da gab es dann irgendwelche geriebenen Steine und Windspiele aus kleinen Muscheln und Walnussschalen – jedenfalls steckt da wahnsinnig viel Arbeit drin.
Das ist aber auch nicht zu begrenzen. Man wird nicht sagen „Bis hierhin“ und dann ist die Arbeit getan. Es ist eher eine dauerhafte Arbeit, das begleitet einen einfach so die ganze Zeit.

RW: Wenn man das Schlagquartett jetzt sieht: ihr probt drei Tage und dann kommt das Konzert, das schafft ihr schon. Aber dahinter steht ein wahnsinnig langer Arbeitsprozess. Wenn man nur diesen kurzen Moment oder das kleine Interview vor dem Konzert hört, dann sieht man das nicht. Ich habe damals auch gedacht, wir müssten in drei Tagen alles hinkriegen. Aber wir dürfen echt langsamer arbeiten. Genau sprechen, genau ausprobieren und auch kammermusikalisch ohne Dirigent arbeiten – und sehr viel Singen. Das lernt man auch bei dem Workshop. Im August während der ersten Arbeitsphase des Workshops war keine Hektik vorhanden. Alle durften ausprobieren und auch Fehler machen, sich Zeit nehmen. Und das ist fürs Schlagzeug sehr wichtig. Denn wie Dirk anfangs gesagt hat: das Instrumentarium, der Aufbau oder die Spieltechnik sind immer unterschiedlich. Es gibt diese Basistechnik, das Schlagen, aber für die Stücke müssen wir fast immer neu lernen. Das dürfen wir nicht vergessen. Dazu müssen wir uns Ruhe und Zeit nehmen. Dann kommt die Musik. Das ist, glaube ich, wichtig zu sehen und zu lernen beim Workshop. Und es ist spannend zu sehen wie unterschiedlich die Musiker*innen sind.

DR: Das habe ich aus der Vorbereitungsphase im August als großes Geschenk erlebt. Wie unterschiedlich die acht Teilnehmer*innen waren, was sie für Ansprüche stellen und was sie überhaupt wissen wollen: Die Eine ein bisschen mehr Technik, der Andere Musikalisches, die Dritte mehr Repertoire …

(c) Rie Watanabe

BM: Ich fand auch, dass man ziemlich deutlich erkannt hat, wo die Teilnehmer*innen herkommen. Es gab Student*innen, die mehr von der – ich sage mal „normalen, klassischen“ Schlagzeugausübung herkommen und quasi nur Repertoire kennen, eher Stabspiele und Trommeln spielen. Und die Stücke, die wir für den Workshop ausgewählt haben, sind ja auch sehr speziell. So normale Sachen, wie man sich ein Schlagzeugquartett eben vorstellt, dass man Stöcke in die Hand nimmt und irgendwo draufhaut, das war relativ wenig vorhanden. Ich glaube, das hat manche auch ziemlich erstaunt. Es ging viel mehr um Klangfindung. Beim Stück von Guo Wenjin zum Beispiel hat jeder nur so kleine chinesische Gegenschlagbecken und muss eine Legende von 30 verschiedenen Klängen spielen, die sich der Komponist ausgedacht hat – und selbst erstmal finden, wie man die überhaupt produziert. Das war schön anzusehen, wie verschieden die Musiker*innen damit umgehen: Manche stehen davor und sagen „Hä, wie?! Na ich weiß nicht wie…“ Andere waren total neugierig und haben gleich gesagt „Das will ich spielen!“ Wo sie herkommen, wo sie hinwollen – das war sehr schön zu sehen.

KL: Ein Stück in eurem Programm ist ja auch „Hirn&Ei“ von Carola Bauckholt. In diesem Stück sind Eure einzige Instrumente die Regenjacken, die ihr tragt und mit denen ihr unterschiedliche Klänge erzeugt. Besonders spannend fand ich, wie die sehr funktionalen, vom Klang her gedachten Bewegungen „Ich muss jetzt hiermit einen Ton erzeugen“ bald schon übergehen zu wirklichen Gesten, bei denen die Aktion im Vordergrund steht; wo also dieses Verhältnis von Klang und Körper umgedreht wird.
Als Schlagzeuger beschäftigt ihr Euch ja sicher sehr viel mit dem eigenen Körper, mit solchen Bewegungsabläufen, mit einer gewissen tänzerischen Fähigkeit sogar…

BM: Das Stück von Carola Bauckholt ist ja eigentlich ein kleines Musiktheaterstück – fast schon eine kleine Straßenszene. Man steht halt mit der Regenjacke da und ist irgendwie „sich selber“. Das ist eine ganz andere Situation als normalerweise, da steht man vor einem Aufbau und bewegt sich da drin. Aber hier bist du fast schon bloßgestellt. Du musst „dich selber“ sein, wozu eben auch eine gewisse Körperlichkeit gehört. Da merkt man dann auch gleich – kann der- oder diejenige einfach so dastehen, geerdet sein? Oder fühlt sie sich irgendwie unwohl? Das ist, glaube ich, für jeden Interpreten und jede Interpretin sehr lehrreich, da kann man viel über sich selbst lernen.

DR: Aber die Frage nach dem Körper beim Schlagzeugspielen geht ja noch viel weiter. Ich bin der totalen Überzeugung, dass jeder Klang – besonders als Schlagzeuger, aber das gilt auch für eine Geige – dass jeder Ton aus dem gesamten Körper kommt und natürlich nicht nur aus dem Arm, mit dem man das Becken anschlägt. Jede Bewegung und die Gesamtbewegungen des Körpers formen ja den Klang. Das Gewicht, ob man mit dem Körper geht, usw. – das spielt eine enorme Rolle! Und oft genug hat der Aufbau, in dem man steht, auch eine Schutzfunktion und ist so ein Käfig, in dem man sich gerade als junger Interpret auch verstecken mag. Ich glaube, mit so Stücken wie „Hirn&Ei“ kann man da entgegenwirken, dass man sich nicht versteckt, sondern seinen Körper nutzt, um die Qualität der Klänge zu vergrößern.

AS: Dafür sind natürlich diese Stücke und auch diese kleine Besetzung eines Quartetts oder Trios sehr gut geeignet. Wie Rie gesagt hat, steht da vorne kein Dirigent, der etwas vorgibt. Es ist eine geteilte Verantwortlichkeit, wo jeder seine eigene Person einbringen kann. Also nicht „Wer zählt an?“ und dann spielen wir halt die Noten, wie sie dastehen, und Triolen sind Triolen und Sechzehntel sind Sechzehntel. So kann man‘s zwar sehen, aber gerade in so einem Stück wie „Hirn&Ei“ sind ganz viele Klänge ein Bezug: Man gibt etwas weiter an den anderen, man wirft einen Blick zu jemandem – teilweise sind die Blicke ja sogar notiert. Und ich denke, sowas habe ich im Studium eher wenig gelernt.
Und natürlich kommt dazu, dass auch dieses Stück ja mit uns zusammen entstanden ist. Carola hatte Teile davon schon geschrieben, aber im Probenprozess kamen auch immer wieder Ideen auf, die in die Komposition gewandert sind. Das ist auch eine wichtige Sache, die man vermitteln kann: Dass man einen ganz anderen Bezug und eine andere Verantwortung am Werk bekommt, wenn man am Entstehungsprozess unmittelbar beteiligt ist.

RW: Ich habe das Stück einmal gespielt und es war sehr schwierig, es aus der Partitur richtig zu verstehen. Denn der Prozess, den ihr mit Carola gearbeitet habt, steht nicht bildlich in der Partitur. Damals habe ich Unterstützung von Dirk und Thomas bekommen und sofort versteht man mehr, die Musik spricht mehr. Dieses Wissen weiterzugeben, das ist mein Anliegen mit diesem Projekt. Während des Workshops merken wir alle, was in den Noten steht und vor allem, was nicht in den Noten steht. Wir leben in 50 Jahren nicht mehr – ok, sagen wir in 60 Jahren – und diese große Arbeit und diese Klangkunst wird dann plötzlich weg sein. Ich möchte mit Euch und den Teilnehmer*innen im Workshop dieses große, gelebte Musikrepertoire des Schlagquartetts besser archivieren und dokumentieren. Nicht nur als Film, sondern auch als Partitur. Eigentlich haben viele Partituren der zeitgenössischen Musik dieses Problem. Dazu kommt, dass das Schlagquartett die Idee der Komponist*innen nie aufgeben. Sie bauen auch mal eine Schraube selbst, um etwas aufzuhängen, weil es sonst unmöglich zu spielen ist. Diese Techniken und Ideen, aber auch den Mut haben nicht alle. Das war für mich immer ein großer Schatz und eine wertvolle Sache und ich will das mit diesen Workshops weitergeben.

(c) Astrid Ackermann

KL: Zuletzt: Gibt es gerade besondere Lieblingsklänge in Eurem Leben?

DR: Bei mir ist das ganz eindeutig der Kieselstein! Das ist gerade ein Material, das mich auch in seiner Reduktion so ein bisschen in Beschlag hat. Aber man darf da auch auf keinen Fall übertreiben, oder Boris?

BM: Jaja, bei mir ist der Stein auch gerade sehr aktuell, ich schreib nämlich gerade ein Steintrio. Ich wollte eigentlich zuerst ein Solostück schreiben, aber da bin ich dann irgendwie gescheitert. Die technischen Möglichkeiten, wie viele Klänge man gleichzeitig erzeugen kann, sind so reduziert, dass das irgendwie nicht hingehauen hat. Das ist teilweise wirklich gar nicht so einfach, für so abwegige Klänge ein Stück zu schreiben, das dann auch funktioniert.

DR: Das kommt auch auf den Anspruch an.

KL: Beim nächsten Workshop wird dann das Steintrio aufgeführt?

BM: Das wird wahrscheinlich mit meinem Ensemble in Stuttgart uraufgeführt. Aber ich habe natürlich auch für das Schlagquartett weitere …

DR: Das war aber auch wirklich dein Glück, dass du das jetzt noch gesagt hast!

Das Gespräch führte Karl Ludwig