Multiphon
Das Multiphonics Festival im Portrait
von Maike Graf
Multiphonics, die Spaltklänge oder auch Mehrfachklänge, sind in vielerlei Hinsicht ein schönes Bild für das gleichnamige Klarinettenfestival. Obertöne über stehendem Klang, Akkordhaftes auf dem eigentlich ein-tönigen Blasinstrument, so das Wesen der Multiphonics-Spielweise aus der Zeitgenössischen Musik. Überträgt man das auf das Multiphonics Festival, stecken die Multiphonics in seinen mehr-fach, also vielseitig klingenden Klängen, wenn es sich nicht auf das klassische oder jazzige Genre und deren Standard-Spielweisen beschränkt. Da stecken Multiphonics in der Vielfalt der klanglichen Eigenheiten der Klarinettenspieler*innen, die sich als Obertöne über die stehende Basis der Klarinette als Festivalkern multiplizieren.
Obwohl das Klarinettenfestival nun schon seit 2013 unter diesem Namen sein Instrument in multi-pler Weise präsentiert, wird es in der diesjährigen Ausgabe seinem Namen nun wirklich gerecht, denn der Festivalschwerpunkt 2021 spaltet sich um die Neue, zeitgenössische Musik.
„Das muss Spaß machen, sonst macht das alles kleinen Sinn.“
„Ein Festival mit der Musik, die wir gerne hören würden“; das ist das Ideal für Jens Eggensperger und Annette Maye, die quasi zu zweit den jährlichen Klarinettenspielplatz aufbauen – dieses Jahr im Alten Pfandhaus und in der Kunststation St. Peter. „Ich möchte musikalische Freude daran haben“, bestärkt die Klarinettistin und „so was wie die künstlerische Leitung des Festivals“, wie Annette Maye sich selber betitelt, den Satz ihres Kollegen Jens Eggensperger.
Wenn man dieses Credo genauer betrachtet, kann man erkennen, dass es hier nicht darum geht ein neues Publikum mit seinen potenziellen wie abstrakten Wünschen zu ergattern oder sich als abgezockter, hochstrategischer Player in den Kampf um ebendieses Publikum aber auch um Spielorte und Fördergelder zu begeben. „Allein das Wort Kampf ist schon scheiße“, meint Jens Eggensperger. „Nur leider ist das in Köln, mit seiner fruchtbaren Umgebung für Kreativleistungen aber einer von ausgezeichneten Musiker*innen überquellenden Freien Szene, eigentlich notwendig. Mittlerweile sind wir nicht mehr die Kulturfighter, sondern entspannter. Wir setzen jetzt auf sehr hohe Qualität.“
Diese hohe Qualität findet sich, für Annette Maye, in den Klarinettist*innen, bei denen die Klarinette nicht die kleine Schwester des Saxofons ist. Als Annette Maye an der Musikhochschule für Musik und Tanz Köln Jazz-Klarinette studierte, war sie für ihren Lehrer Claudio Puntin die Erste mit diesem Hauptfach überhaupt. Üblicher war ein Jazz-Saxofon- oder Flöten-Studium mit aufgestockter Klarinettenspezialisierung. Beim Multiphonics Festival spielt die Klarinette definitiv nicht die Doubling Rolle, die ihr im Big Band Kontext oft übergestülpt wird. Sie stellt sich vorne an die Bühnenkante, oft durch Ensembles oder Duopartner*innen gestützt, und ruft nostalgisch in den Zuschauerraum: „In den 30er- und 40er-Jahren des Jazz war ich der Star!“
Heute ist es Annette Maye bei ihrem Festival ganz besonders wichtig, „dass sich die Musiker*innen wirklich umfangreich und ernsthaft mit der Klarinette auseinandergesetzt haben, um ihren individuellen Klang, abseits vom klassischen Standard mitzubringen“. Daher sollen die Musiker*innen des „Multiphonics“ Festivals zu „100 %, manchmal auch zu 90 % echte Klarinettist*innen sein, so wie Louis Sclavis, Gabriele Mirabassi oder Michel Portal. Aber die sind gar nicht so einfach zu finden.“ „Das ist so der Fluch und Segen von dieser sehr spezifischen inhaltlichen Ausrichtung“, fügt Jens Eggensperger hinzu: „Wir haben ein klares Konzept, aber es ist natürlich total schwierig, neue Leute zu finden.“
Multiphonics ist eine Bühne für die Klarinette, für das Familientreffen mit allen Großtanten, auch der Alt- und Kontrabassklarinette, aber nicht pur und rein solistisch, sondern „als eine Hauptzutat, in extrem variierenden Rezepten“, wenn Jens Eggensperger ein Festival kocht.
„In der Organisation sind wir eigentlich ein Zwei-Personen-Festival. Diesen Wahnsinn macht ja keiner mit.“
Für die Klarinetten haben Jens Eggensperger und Annette Maye schon einiges aufgebracht. Im Regen standen sie vor der Frankfurter Oper, nach einem Klaus Doldinger Konzert, und verteilten Flyer, um die Multiphonics 2014 in Frankfurt zu bewerben. Im Eröffnungsjahr saß das Festival noch in Fulda, einer Stadt, in der, nach Jens Eggensperger, „die Band Silbermond in der Esperanto Halle als Hochkultur vom Kulturamt gefördert wurde.“ 2015 wurden die Klarinettenkoffer, dann ins „musikalisch übersättigte Köln“ transportiert, so Eggensperger. In diesem Jahr tourt es nach den Konzerten im Alten Pfandhaus und der Kunststation St. Peters noch nach Düsseldorf, Dortmund, Meschede, Wuppertal, Müllheim und sogar bis nach Freiburg.
Der Anstoß für ein Klarinettenfestival kam aus Annette Mayes ältester Band, dem „Ensemble FisFüz“, namentlich von Murat Coşkun, der mit seinem Rahmentrommel-Festival „Tamburi Mundi“ bei Freiburg die internationale Rahmen-Community zusammentrommeln konnte. Mit dem Wunsch „die Klarinettenszene in Deutschland, vielleicht auch europa- oder weltweit mal ein bisschen zu vernetzen, unabhängig von einem speziellen Genre“, springt Annette Maye als Musikerin zusammen mit Jens Eggensperger in den Sturm des Festivalmanagements. Darin wirbeln organisatorische Stresswellen, aber auch nächtliche Abspülaktionen nach einem Konzert im Alten Pfandhaus oder polizeilich vermisst gemeldete Künstler*innen die im Zug eingeschlafen und bis nach Holland gefahren waren; aber vor allem eine ganze Menge Hingabe ihrem Multiphonics Festival und dem Instrument, dem es sich verschreibt.
„Wir hatten eine CD vom Ensemble hand werk im Auto, ich weiß überhaupt nicht, wie die da gelandet ist!“
Die Spielweise der Multiphonics ist schon lange auf dem Festival präsent. Daher weht die zeitgenössische Brise schon eine Weile durch seine Klarinetten. Dieses Jahr setzt das Multiphonics Festival einen Schwerpunkt mit dem „Trio Catch“, dem „Duo Stump-Linshalm“ und „Essence of North“ und verbindet die Konzerte in der Kunst-Station St. Peter mit audiovisuellen Live-Performances der Videokünstlerin Alba G. Corral. Die Entscheidung an drei Festivaltage Neue Musik zu spielen, war für Jens Eggensperger und Annette Maye der Moment „jetzt einfach mal den Mut zusammenzunehmen und den Schritt wirklich zu gehen; zu den echten Neue Musik Konzerten, für ein richtiges Neue Musik Publikum“, um zu zeigen: „Wir sind auch Neue Musik.“
Einerseits wollen sie sich damit selbst einen neuen Künstler*innenpool für die nächsten Festivaljahre eröffnen, andererseits das große Ideal „die stilistische und spieltechnische Bandbreite der Klarinette abzubilden“ noch mehr ausfüllen als ohnehin schon. Dazu kommt noch das Bedürfnis einen Raum für Neue Musik zu schaffen, „der weder der Stadtgarten noch das Alte Pfandhaus ist, denn da passt die Neue Musik gar nicht wirklich hin“, sagt Jens Eggensperger.
Mehr Klarinette für NRW mit dem Multiphonics Festival, damit die Frage vielleicht irgendwann irrelevant ist, warum es denn explizit ein Klarinettenfestival sein muss. Annette Maye und Jens Eggensperger und ihre herausragenden und gedankenvoll kuratierten Konzerte werden Ihnen an fünf Festivaltagen immer wieder eines entgegenrufen: „Warum denn nicht?“